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Amputiert

Amputiert

Titel: Amputiert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gord Rollo
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trotzdem grotesk unterentwickelt waren und nie in der Lage gewesen wären, sein Gewicht zu tragen.
    Ich selbst verlor die Funktion meiner Beine bei einem schlimmen Autounfall, nur durfte ich die Freude des Gehens zumindest in meinen ersten fünfundvierzig Lebensjahren erfahren. Wegen meiner Dummheit ist mein Sohn in seinem Leben noch keinen einzigen Tag gegangen. Er konnte nie Baseball spielen oder Fahrrad fahren. Nie konnte er die Dinge tun, die für ein normales Kind selbstverständlich sind, aber ich habe mir geschworen, nie den Versuch aufzugeben, ihm zu helfen. Deshalb habe ich mich für diese spezielle Studienrichtung entschieden. Vom ersten Tag an bestand mein Ziel darin, meinem Sohn zu helfen.
    Vielleicht können Sie jetzt verstehen, warum ich Ihnen allen so dankbar bin. Es ist zu spät, um Andrew die Dinge zurückzugeben, die er in der Kindheit verpasst hat, doch mit Ihrer Hilfe, kann ich ihm zumindest das ermöglichen, was er sich am meisten wünscht, nämlich auf zwei eigenen Beinen zu stehen und zu einem Spaziergang hinauszugehen.«
    Eine einzelne Träne rollte über die linke Wange des Doktors. Er leckte sie auf, als sie seinen Mundwinkel berührte. Um die Wahrheit zu sagen, auch meine Augen wurden ein wenig feucht. Es war eine äußerst berührende Geschichte. Dieser brillante Mann kämpfte seit Jahrzehnten gegen die Grenzen der Wissenschaft an, und zwar nicht für Ruhm oder Geld, sondern aus Liebe zu seinem behinderten Kind. Mittlerweile war jenes Kind erwachsen, dennoch hatte Dr. Marshall nie verzagt, nie die Hoffnung aufgegeben, ihm eines Tages helfen zu können, und in jenem Moment bewunderte ich den Chirurgen als jeden anderen Menschen, der mir einfiel.
    Ich war mehr als bereit zu helfen. Obwohl ich von Natur aus ein zynischer Mistkerl bin, war ich aufgrund dessen, was ich bereits gesehen hatte, aufrichtig davon überzeugt, dass Dr. Marshall in der Lage sein würde, sein Versprechen gegenüber seinem armen Sohn zu erfüllen. Obwohl es für mich keinen echten Unterschied machte – ich würde so oder so reich sein –, fühlte ich mich mit dem Wissen um einiges besser dabei, meinen Arm zu spenden.
    Es überraschte mich nicht, dass die anderen von den Worten des Doktors ähnlich berührt zu sein schienen. Er war so offen und ehrlich zu uns gewesen, wie konnte es da anders sein? Diese persönlichen Dinge hätte er uns nicht mitteilen müssen. Klar, wir wollten das Geld, aber ich denke, wir wollten auch helfen.
    Wir unterhielten uns noch einige Minuten, und mittlerweile fühlten wir uns in der gegenseitigen Gesellschaft recht wohl. Dr. Marshall versprach, uns Andrew vorzustellen, und redete davon, was wir auf dem Rundgang sehen würden. Alle waren aufgeregt, ich mit eingeschlossen.
    Eine Sekunde lang spielte ich mit dem Gedanken, ihn wegen etwas aus dem Video zu fragen. Es hatte mich beunruhigt, als ich es sah, und mittlerweile beunruhigte es mich noch mehr. Ich wollte mehr über diesen abgetrennten Kopf erfahren, dessen Wirbelsäule in dem Glastank herumgezuckt hatte. Ich meine, die Arme, Beine und Hände konnte ich verstehen, nicht aber den Kopf. Diese anderen Körperteile konnten Menschen wie wir gespendet haben, nur jener Mann – wer immer er gewesen war – musste für das Experiment gestorben sein. Gestorben , um Himmels willen! Gingen die Dinge damit nicht ein wenig zu weit? Ganz gleich, wie hehr und rein Dr. Marshalls Absichten sein mochten, gab es nicht trotzdem eine Grenze, die nicht überschritten werden sollte?
    Allerdings schien es mir nicht der richtige Zeitpunkt zu sein, um es anzusprechen, also verkniff ich es mir. Ich würde mich später danach erkundigen, wenn sich die Gelegenheit ergäbe. Wieso sollte ich die gute Stimmung verderben?
    Drake steckte den Kopf zur Tür herein, um uns mitzuteilen, dass der Koch mit dem Essen soweit sei, wenn wir bereit wären. Ohne auf eine Antwort zu warten, verschwand er wieder.
    »Hervorragend«, meinte Dr. Marshall. »Haben alle Lust, einen Happen zu essen?«
    Nach der expliziten Videovorführung und allem anderen, was ich an diesem Vormittag gesehen und gehört hatte, klang Mittagessen nicht besonders verlockend für mich, aber wenn man so lange auf der Straße gelebt hat wie ich, lernt man, keine kostenlose Mahlzeit auszulassen.
    »Klar«, sagte ich und folgte dem Rest der Truppe die Rollstuhlrampe hinauf und zur Tür hinaus.

Kapitel 10
    Da unter meine Definition einer gepflegten Mahlzeit ein Whopper mit Pommes von Burger King fiel, hatte ich mir

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