Amputiert
derzeit haben wir eine Erfolgsrate von knapp über einundneunzig Prozent. Nicht allzu schlecht, oder?«
Damit verstummte er, und wieder herrschte in dem kleinen Konferenzraum Schweigen, diesmal jedoch fühlte es sich nicht unbehaglich an.
Im Gegensatz zu der spannungsgeladenen Stille im Anschluss an die Videovorführung wirkte es diesmal eher nachdenklich, als würden gerade die präsentierten Fakten verdaut. Wir waren sowohl visuell als auch verbal mit einer Menge Informationen gefüttert worden, und wir brauchten einige Minuten, um sie mit unserer eigenen Geschwindigkeit zu verarbeiten.
Dr. Marshall, dem dies offenbar bewusst war, blieb stumm. Er beschäftigte sich damit, die Decke über seinen Beinen zu glätten und zurechtzuzupfen, was an sich nicht nötig gewesen wäre, aber es gab uns die Zeit, die wir brauchten, um unsere Gedanken zu sammeln.
Die meinen waren nicht besonders angenehm, tatsächlich sogar ziemlich hässlich. Ich bekam das Bild meines eigenen Armes nicht mehr aus dem Kopf. Unweigerlich stellte ich mir vor, wie er, abgetrennt von meinem Körper, auf einem Labortisch zuckte und dabei Tausende dieser dünnen, bunten Drähte aus seinem zerfetzten, blutigen Ende hinter sich herschleifte. Es war beileibe kein schönes Bild; um mich von meinen morbiden Gedanken abzulenken, stand ich auf und stellte Marshall eine Frage.
»Doktor?«, begann ich. »Bevor Sie uns das Video gezeigt haben, meinten sie, es solle niemanden schockieren, sondern beweisen, das getan werden könne, was wir hier versuchen werden. Vielleicht übersehe ich etwas, aber bei den offensichtlichen Erfolgen, die Sie bei solchen Dingen bereits haben, wird das nicht allmählich ein alter Hut für Sie? Ich meine, Sie haben das schon mit verschiedensten Körperteilen gemacht, und zumindest für mich scheint es so zu sein, als hätten Sie es im Griff. Wofür brauchen Sie uns? Was wollen Sie mit unseren Gliedmaßen versuchen, das so besonders ist?«
Dr. Marshall schien in seinem Rollstuhl zu schrumpfen, und einen Moment lang glaubte ich, meine Chance vertan zu haben, reich zu werden. Ich war überzeugt davon, er würde gleich wütend werden und mich rauswerfen lassen. Stattdessen rollte er näher an uns heran und ersuchte Bill und mich, nach unten zu kommen, damit er nicht mehr so laut reden musste. Ich half Rotbart hinunter neben Rolli, und Bill und ich nahmen ebenfalls in der ersten Reihe Platz.
»So ist es besser«, meinte Dr. Marshall lächelnd, dann holte er tief Luft. »Ich wollte das eigentlich bis nach dem Mittagessen aufheben, aber was soll’s, jetzt ist es genauso gut. Mr. Fox hat einen sehr guten Punkt angesprochen. Bei jedem Forschungsprojekt kommt ein Zeitpunkt, zu dem es überflüssig wird, das jeweilige Experiment lediglich zu wiederholen. Was bringt es, etwas noch einmal zu tun, von dem man bereits weiß, dass es machbar ist? Damit verschwendet man nur Zeit und Ressourcen.
Wenngleich unsere Forschung der des öffentlichen Sektors meilenweit voraus ist, hat sie nun diesen Punkt der Redundanz erreicht, deshalb habe ich beschlossen, die nächste Stufe der Leiter zu erklimmen. Es ist an der Zeit, die Erkenntnisse, die wir gewonnen haben, nicht nur dafür einzusetzen, ein abgetrenntes Glied am Leben und gesund zu erhalten, sondern es wieder an einem menschlichen Körper anzubringen, voll funktionsfähig und so stark wie eh und je. Dabei kommen Sie ins Spiel. Ihre Gliedmaßen werden die ersten sein, mit denen wir das versuchen, deshalb war es mir ein wichtiges Anliegen, dieses Gespräch heute mit Ihnen zu führen.«
»Soll das heißen, Sie werden unsere verschiedenen Körperteile wie vereinbart entfernen, an diese Maschinen anschließen, damit sie gesund bleiben, und sie anschließend wieder an uns annähen?«, fragte sich Bill Smith laut. »Werde ich im Wesentlichen genau so hier rausspazieren, wie ich jetzt aussehe?«
In seiner Stimme schwang ein Anflug von Hoffnung mit, und auch meine Gedanken rasten, aber der Ausdruck in Dr. Marshalls Gesicht verdeutlichte, dass wir vergeblich hofften.
»Nein, Mr. Smith«, antwortete der Doktor. »Ich fürchte, das wird nicht geschehen. Ich habe andere Pläne. Es tut mir leid, aber ich habe Ihre Gliedmaßen bereits jemand anderem versprochen.«
»Wem?«, fragten wir alle vier gleichzeitig.
Dr. Marshall schien noch tiefer in seinem Stuhl zu versinken, ehe er mit einem tiefen Seufzen flüsterte: »Falls Sie sich erinnern, ich habe erwähnt, dass ich einen persönlichen Grund habe, Ihnen
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