Amputiert
leere Flächen für künftige Erweiterungen, aber bevor Sie einziehen, dachte ich, Sie würden vielleicht gerne meinen Sohn kennenlernen.«
»Sicher«, bestätigte ich. Alle pflichteten mir bei, dass es nett wäre, den Mann kennenzulernen, dem wir helfen würden.
»Prima. Ich sehe nur kurz nach ihm und vergewissere mich, dass er in der Lage ist, Besuch zu empfangen. Er hat gewisse Bedenken, Ihre Arme und Beine anzunehmen. Er denkt, Sie alle werden ihn dafür hassen. Vielleicht können Sie ihn in dieser Hinsicht etwas beruhigen. Das ist im Augenblick das Letzte, worüber er sich Sorgen machen sollte. Warten Sie eine Minute und seien Sie bitte leise. Ich bin gleich zurück.«
Der Chirurg verschwand leise in Zimmer 301, und wir warteten geduldig fünf Minuten lang auf dem Flur. Wir fingen gerade an, unruhig zu werden, als Dr. Marshall die Tür öffnete und sich wieder zu uns gesellte.
»Ich fürchte, es ist kein guter Zeitpunkt. Andrew schläft gerade tief und fest, und ich möchte ihn nicht wecken. Er erhält eine Menge Medikamente, durch die er recht benommen ist. Er soll sich vor der Operation nicht zu sehr bewegen. Die Krankenpflegerin hat mir mitgeteilt, dass er in letzter Zeit häufig untertags schläft und den Großteil der Nacht wach ist und fernsieht.
Ich nehme Sie für einen kurzen Blick mit rein, aber Sie müssen leise sein. Natürlich werde ich Sie ihm noch formell vorstellen, nur warten wir damit besser auf einen anderen Tag. Ich bin sicher, im Verlauf der nächsten Monate werden Sie noch reichlich Gelegenheit haben, sich miteinander zu unterhalten. Kommen Sie.«
So leise wie möglich betraten wir im Gänsemarsch den Raum und gruppierten uns gleich hinter der Tür. Andrews Zimmer erwies sich als riesig; sein Bett stand gut und gern neun Meter von uns entfernt neben einem großen, dreifach verglasten Panoramafenster, damit er die Felder draußen sehen konnte. Andrew zeichnete sich nur als kleiner Klumpen unter den strahlend weißen Laken ab. Er war schlimmer bandagiert als eine ägyptische Mumie; ich hätte nie erahnt, dass sich ein Mann auf dem Bett befand, wenn man es mir nicht gesagt hätte. Eine Sauerstoffmaske bedeckte sein Gesicht und schränkte die Sicht auf den einzigen Teil seiner freiliegenden Haut ein. Es war ein trauriger, ernüchternder Anblick, und in jenem Moment war ich froh, dass er schlief, denn mir wäre rein gar nichts eingefallen, was ich zu ihm hätte sagen können.
Den Rest des Zimmers nahmen verschiedene Überwachungsgeräte, Medizinalbedarf und ein Mainframecomputer ein. Tausende winzige Drähte verliefen von dem Rechner zu Andrews Bett, wo sie sich für den Anschluss an die verbundenen Bereiche, an denen sich seine Arme und Beine hätten befinden sollen, in vier Stränge teilten. Wir blieben nur eine Minute, doch das genügte uns, um zu erkennen, dass dieser arme Mann unsere Hilfe dringend brauchte.
»Ziemlich verstörend, nicht wahr?« Dr. Marschall verzog das Gesicht, als wir uns alle wieder auf dem Flur befanden. »Vielleicht können Sie jetzt nachvollziehen, weshalb ich so besessen davon bin, ihm zu helfen. Er ist mein einziger Sohn. Ich hoffe, er wird sein Leben nicht mehr lange in diesem Zimmer fristen müssen.
Ich habe Sie hineingeführt, weil ich wollte, dass Sie sehen, wie ich den Körper für die Aufnahme der von Ihnen gespendeten Gliedmaßen vorbereitet habe. Sind Ihnen die Faseroptikverbindungen aufgefallen? Dasselbe Prinzip, über das wir geredet haben, um Ihre Gliedmaßen am Leben zu erhalten, nachdem sie chirurgisch entfernt wurden, wird auf seinen Körper für die Wiederanbringung angewandt. Ich habe ihm die deformierten Stumpen abgenommen und das Faseroptiknetzwerk an alle gesunden Nervenenden angeschlossen, die wir finden konnten. Bei der Operation werde ich diese gesunden Nervenenden mit Ihren gesunden Nerven verbinden, und es sollte nur einen minimalen Funktionsverlust beim Übergang von Ihrem Körper auf den seinen geben. Im Wesentlichen sollte er nach einer entsprechenden Zeit der Heilung in der Lage sein, aufzustehen und loszugehen, fast so, als wären die von Ihnen gespendeten Glieder von Geburt an seine gewesen.«
Wir dankten Dr. Marshall für den Rundgang und zogen den Flur hinab los, um unsere Zimmer zu suchen. Zuvor vereinbarten wir noch, uns pünktlich um 19 Uhr unten zum Abendessen einzufinden. Nach dem Mittagessen, auf das wir eingeladen worden waren, hatte ich für meinen Teil nicht vor, zu spät zu erscheinen.
Mein Zimmer hatte die Nummer
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