Amputiert
unter Dr. Marshalls ›Happen zu essen‹ eine Schüssel Suppe und vielleicht ein Erdnussbutter- oder Schinkensandwich vorgestellt. Ich konnte meinen Augen kaum glauben, als der Ober – ein dünner Asiate in Hemd, Hose und Schürze so weiß, dass sie nicht von dieser Welt zu sein schienen – ein Tablett nach dem anderen mit Feinschmeckergenüssen herbeitrug.
Zu Beginn machten wir uns über Cracker und Käse, gefüllte Eier, Essiggurken und riesige Krabbencocktails her. Danach gingen wir zu frischem Gartensalat und einer von zwei dicken, köstlichen Suppen nach Wahl über.
Bereits an dieser Stelle war ich einigermaßen satt, trotzdem gedachte ich, unter keinen Umständen den Hauptgang auszulassen, der aus honiggeröstetem Schinken mit Kartoffelgratin und in Butter geschwenkten Spargelspitzen bestand. Es gab auch noch ein Tablett mit Nachtisch, doch dem konnte ich mich nicht nähern, ohne zu platzen zu drohen. Wenn man das hier als Mittagessen bezeichnete, konnte ich es kaum erwarten zu erfahren, wie das Abendessen aussehen würde.
Als es Dr. Marshall letztlich gelang, uns staunende Penner von dem Festmahl wegzuschleifen, löste er sein Versprechen ein, uns persönlich durch seine unglaubliche medizinische Einrichtung zu führen. Wir sahen, dass im gesamten Gebäude alles für Rollstühle zugänglich war, und das nicht nur wegen Dr. Marshall. Rolli und Rotbart zeigten sich ziemlich beeindruckt, dass sie bestimmte Bereiche des Rundgangs nicht ›aussitzen‹ mussten, wie es normalerweise in einem Bauwerk dieser Größe der Fall gewesen wäre.
Das Erdgeschoss handelten wir rasch ab, da wir den Großteil davon schon gesehen hatten. Neben dem verschwenderischen, dreigeschossigen Empfang gab es dort drei Konferenz- und Videoräume, den Speisesaal, die Küche und eine ausgesprochen beeindruckende medizinische Bibliothek samt Computerrechercheterminal.
Der erste Stock bildete das eigentliche Herzstück der Einrichtung, da sich dort Dr. Marshalls Laboratorien und Operationssäle befanden. Wie der Fahrer, der uns an diesem Vormittag hierher brachte, gesagt hatte, entsprach alles dem neuesten Stand der Technik. Kein Cent war gespart worden; Labor um Labor präsentierte sich mit der besten chirurgischen und Forschungsausrüstung ausgestattet, die man für Geld kaufen konnte. Ein Teil der Gerätschaften stand Wissenschaftlern des öffentlichen Sektors gar nicht zur Verfügung. Dr. Marshall und sein Personal hatten sie entwickelt, patentiert und ausschließlich zum eigenen Nutzen hergestellt.
Als Laie in jeder Bedeutung des Wortes hatte ich bei neunundneunzig Prozent des Zeugs keinen Schimmer, wozu es diente, aber Dr. Marshall bemühte sich redlich, alle Fragen zu beantworten und uns bestmöglich aufzuklären. Wir bekamen alle Experimente aus nächster Nähe zu sehen, was irgendwie cool war, nachdem man das mulmige Gefühl überwunden hatte, sich in einem Raum voller abgetrennter Körperteile aufzuhalten. Diese waren definitiv grotesk, dennoch fand ich sie größtenteils faszinierend, als wäre ich geradewegs in einem der Science-Fiction-Filme gelandet, die ich als Kind so genossen hatte.
Zu meinen persönlichen Höhepunkten gehörten das Bein, das auf wundersame Weise seit hundertneunzehn Tagen überlebte und damit den Rekord hielt, und das Schütteln der Hand eines abgetrennten Frauenarms. Ich hielt die Hand gerade, als einer der Laborassistenten in der Nähe einen Befehl in einen Computer eingab. Fast sofort legte sich die Hand um die meine und jagte mir einen Höllenschreck ein; die anderen lachten über meine Reaktion. Abgefahren, Mann!
Nachdem wir die drei geräumigen und effizient aussehenden Operationssäle besucht hatten, verlagerten wir den Rundgang in den zweiten Stock. Diese Etage glich mit ihren dicken Luxusteppichen auf den Böden und wunderschönen Gemälden an den Wänden eher einem Nobelhotel als einer Krankenstation. Hier wohnte das Personal, und auch wir würden während unseres Aufenthalts hier untergebracht werden. Ich konnte es kaum erwarten, mein Zimmer zu erkunden, aber Dr. Marshall bedeutete uns, vor Raum 301 am Ende des ersten Flurs anzuhalten. Er drehte sich um, und als er sich an uns wandte, ertönte seine Stimme kaum lauter als ein Flüstern.
»Das ist Andrews Zimmer. Ihre Räumlichkeiten befinden sich um die Ecke am gegenüberliegenden Ende des Gebäudes. Ihre Namen sind an den Türen angebracht. Viel mehr gibt es eigentlich nicht zu sehen. Der dritte Stock dient nur als Lager und enthält
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