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Amputiert

Amputiert

Titel: Amputiert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gord Rollo
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das Buntglasfenster in seinem Bleirahmen und war bereit, wie ein Vogel in strahlende, blaue Ferne zu fliegen. Na ja, wenigstens ein oder zwei Sekunden lang.
    Es sollte nicht sein.
    Ich knallte heftig gegen das Glas und durchschlug es problemlos, aber mein Flug in die Freiheit dauerte nur weitere zehn Zentimeter an. Dann prallte ich mit dem Gesicht voraus gegen ein am äußeren Mauerwerk verschraubtes Maschendrahtgitter. Es war ein stabiles Gitter, das wahrscheinlich an diesen teuren Fenstern installiert worden war, um sie zu schützen, und es bremste meinen Flug jäh. Meine Nase wurde beim Aufschlag schmerzhaft in blutigen Brei verwandelt, der Rest meines Gesichts und Körpers glich einem Flickenwerk aus Schnitt- und Stichverletzungen von all den Glasscherben. So viel zu meiner großen Flucht.
    Als ich zurück in das Turmzimmer prallte, landete ich mit lautem Knall zu Drakes Füßen. Der fand den Anblick meines blutigen Gesichts und Körpers unheimlich lustig. Er lachte so ausgelassen, dass es Dr. Marshall war, der herüberkam, um mich auf dem Boden zu halten, damit ich nicht erneut wegrennen konnte.
    »Holen Sie die Spritze«, befahl er Drake.
    »Wozu die Eile? Lassen wir ihn doch gegen das andere Fenster laufen. Ich würde das zu gern noch mal sehen.«
    »Holen Sie einfach die Spritze, wir haben mit diesem Verlierer genug Zeit vergeudet. Ich bin mit der Operation spät dran.«
    »Na schön, war ja nur so ‘ne Idee«, erwiderte Drake, den mein Leid immer noch erheiterte.
    Ich beobachtete, wie er zu einem Rollschreibtisch ging und aus einer der Schubladen eine große Spritze holte. Er füllte sie mit einer klaren, gelblichen Flüssigkeit – wahrscheinlich mit demselben Zeug, mit dem ich im Keller betäubt worden war –, dann kam er herüber und reichte sie seinem Boss.
    Ein Teil von mir wusste, dass ich mich winden, wie am Spieß schreien und verzweifelt versuchen sollte, zu entkommen, aber ich hatte keine Kraft mehr dazu. Ich war übel zugerichtet, hatte überall blaue Flecken und blutete – jeder Quadratzoll meines Körpers schmerzte höllisch. Schlimmer noch, durch den Aufprall am Metallgitter war die Wunde an meiner rechten Schulter aufgebrochen, und durch die Menge an Blut, die sich aus mir auf den Boden ergoss, fühlte ich mich allmählich schwindlig, benommen, taub und mehr als ein wenig lethargisch.
    Ich bin sicher, ich wäre von selbst ohnmächtig geworden, wenn sie mir noch dreißig Sekunden Zeit gelassen hätten, aber Dr. Marshall wollte kein Risiko eingehen. Er rammte mir die Nadel grob in den Oberschenkel, trotzdem erinnere ich mich nicht daran, Schmerz dabei empfunden zu haben. Ich schrie nicht einmal. Innerhalb weniger Momente wurde alles schwarz.

Kapitel 20
    Aus der Erfahrung von jemandem, der mehrere hundert Liter billigen, oft selbst gebrannten Fusel getrunken hat und schließlich zu gestohlenem Sterno übergegangen ist, wusste ich, wie es war, mit Kopfschmerzen aufzuwachen. Tatsächlich war ich auf dem Gebiet eine Kapazität. Ich hatte mehr Kater, als ich mir in Erinnerung rufen möchte, aber diese selbst herbeigeführten Kopfschmerzen taten nie auch nur halb so weh wie das, was ich empfand, als ich letztlich erwachte und mich langsam rührte. Mein Schädel pochte; mit jedem Herzschlag wurde mir ein Hunderternagel Schmerz ins Hirn getrieben. Ich wagte nicht, die Augen zu öffnen. Gott bewahre. Stattdessen lag ich vollkommen still, atmete flach und versuchte, es durchzustehen.
    Muss ja eine höllische Party gewesen sein gestern Nacht. Blue J und ich müssen ganz schön ...
    Dann fiel mir durch all die Schmerzen und die verschwommenen Erinnerungen hindurch, die aus meinem drogenüberlasteten Gehirn sickerten, plötzlich ein, wo ich mich befand und was mir im Turmzimmer des Gemäuers widerfahren war. Ich versuchte, dagegen anzukämpfen, das Wissen zu verleugnen, denn die Wahrheit zu akzeptieren, würde mich in eine Richtung führen, in die ich nicht bereit war zu gehen. Keine Chance.
    Vielleicht hat Puckman wieder dieses fürchterliche Zeug gebraut, und ich habe so viel davon getrunken, dass ich ...
    Auf halbem Weg durch meinen jämmerlichen Versuch, der Realität auszuweichen, gab ich es auf. Was hatte es für einen Sinn? Ich wusste nur allzu gut, wo ich war und weshalb ich so üble Kopfschmerzen hatte. Alle Lügen und alles Wunschdenken der Welt würden an meiner Lage nichts ändern oder dafür sorgen, dass ich mich besser fühlte. Warum also sollte ich mir die Mühe machen?
    Weil mir die

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