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Amputiert

Amputiert

Titel: Amputiert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gord Rollo
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Wochen?
    »Wovon redest du?«, fragte ich. »Das ist doch mein erster Tag, oder?«
    Darüber lachte Red. »Nein, ich fürchte nicht, mein Freund. Sie haben dich vor mindestens zwei Wochen hergebracht, aber ich glaube, es sind eher drei. Die Neuankömmlinge setzten sie ziemlich stark unter Medikamente, um die Schmerzen zu lindern und damit die Wunden heilen können, ohne dass sie sich bewegen. Wahrscheinlich warst du davor auch einige Tage in einem Aufwachraum.«
    Verfluchte Scheiße.
    Das erklärte wohl auch die mörderischen Kopfschmerzen – sie hatten mich drei Wochen lang ausgeknipst wie einen Lichtschalter. Da dämmerte mir, dass ich keinen Schimmer hatte, welches Datum wir hatten oder wie lange ich schon in der Einrichtung war. Ich wusste nicht einmal, welcher Monat war.
    »Was haben wir für ein Datum, Red? Irgendeine Ahnung?«
    »Spielt das eine Rolle?«, gab er zurück. »Das alles macht keinen Unterschied mehr, also vergiss es. Hier gibt es nur zwei Wochentage, über die du dir den Kopf zerbrechen musst. Schlechte Tage, wenn sie uns Blut abzapfen, und gute Tage, wenn sie uns in Ruhe lassen. Das ist alles – gut oder schlecht. Sonst ist alles egal.«
    Eine Weile lagen wir schweigend da, und ich spürte, dass ich wieder einzudösen begann. Ich fühlte mich schläfrig, trotzdem musste ich fragen.
    »He, Red?«
    »Ja?«, antwortete er. Auch er klang müde.
    »Was für ein Tag ist morgen?«
    Ich hörte, wie er tief Luft holte; dann flüsterte er: »Ein schlechter. Ruh dich ein wenig aus.«

Kapitel 22
    Anscheinend verschlief ich. Ich erwachte zwar im Morgengrauen, als das Sonnenlicht erst begann, die Dunkelheit zu vertreiben, aber alle im Raum, die noch einen intakten Verstand besaßen, waren bereits hellwach und nervös. Das Pflegepersonal würde bald durch die Tür kommen.
    »So schlimm kann es doch nicht sein, oder?« Ich wandte mich damit an Rotbart, aber es war der alte Lucas zu meiner Linken, der antwortete.
    »Hast du schon mal Blut gespendet?«, fragte er.
    »Sicher«, sagte ich. »Oft sogar. War nie ‘ne große Sache.«
    »Ja, da geb’ ich dir recht. Von wo haben sie es genommen?«
    »Was?«
    »Das Blut. Wo haben sie es dir abgezapft?«
    »Ach so. Am Arm.«
    »Genau. Und was denkst du, von welchem Arm sie es dir heute abnehmen werden? Ach ja, richtig, du hast ja keine beschissenen Arme, genau wie wir anderen, du verdammter Narr. Sie werden es dir vom Kopf abnehmen, um Himmels willen. Hat dir schon mal jemand ‘ne große Nadel in den Kopf gerammt, Mike?«
    Lucas war offensichtlich fuchsteufelswild, aber ich war nicht sicher, ob er wirklich auf mich wütend war, weil ich ihn nicht getötet hatte, als ich die Chance dazu hatte, oder ob er nur gereizt und nervös wegen dem war, was passieren würde. Wahrscheinlich etwas von beidem, also biss ich mir auf die Zunge und erwiderte nichts.
    »Entspann dich, Lucas«, kam mir Rotbart zu Hilfe. »Er ist neu hier; ist doch nicht seine Schuld, dass er keinen Tau hat, wie es läuft.«
    »Ich weiß«, gab Lucas seufzend zurück. »Es war nur eine so dumme Frage, und ich fühle mich heute beschissen. Ich will nur noch, dass es endet, Red. Ich kann das nicht mehr lange ertragen, ehrlich nicht.«
    »Ich weiß, Lucas«, sagte Red mitfühlend. »Wir alle wollen, dass es endet.«
    Ich fühlte mich ein wenig wie ein Zuschauer bei einem Tennismatch und drehte mich abwechselnd nach links und rechts, während meine Zimmergenossen miteinander redeten. Als sie einen Augenblick verstummten, mischte ich mich ins Gespräch.
    »Zuerst mal, Lucas, es tut mir aufrichtig leid, dass ich es nicht zu Ende brachte, als du meine Hilfe wolltest. Du brauchst mir nicht zu verzeihen, aber etwas sollst du wissen – ich wollte dir helfen, ich habe versucht, dir zu helfen. Aber ich hab’s vermasselt. Ich bekam Angst und bin losgerannt, um die eigene Haut zu retten. Nicht, dass es viel gebracht hätte.«
    »Ach, Scheiße, Mike«, sagte Lucas. »Ich mach’ dir daraus keinen Vorwurf. Ich hätte dasselbe getan. Es liegt nur an diesem schrecklichen Ort. Der macht einen verrückt. Sie foltern uns wieder und wieder, und wir können rein gar nichts dagegen tun. So etwas schafft einen Mann nach einer Weile. Es schafft ihn, bis er überschnappt. Erinnerst du dich an Charlie, den Burschen, der in jener Nacht zu schreien anfing und die Wachleute herbrachte?«
    »Ja, ich erinnere mich an ihn«, antwortete ich und dachte daran zurück, dass es mir nicht gelungen war, ihn zu beruhigen und zum Schweigen zu

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