Amputiert
mir sagte. Jackie, Arlene und Daniel seien in einen schweren Autounfall verwickelt worden, und es sähe nicht gut aus. Ein Krankenwagen sei unterwegs, und Jackie habe der Polizei noch gesagt, wo ich zu finden sei, bevor sie das Bewusstsein verlor; es sollten die letzten Worte bleiben, die sie je sprach, und ich war nicht da, um sie zu hören.
Manchmal, wie in dieser Nacht, hatte ich Glück, und der Traum spulte einige Minuten vor bis zu der Stelle, als ich über die verregnete Straße auf den verbogenen Haufen aus Metall und Plastik lief, der einst der silberne Honda Civic unserer Familie gewesen war. Das Auto lag auf dem Dach; die gesamte Front fehlte, war um einen Telefonmast auf dem Bankett gewickelt.
Als ich näher kam, konnte ich sehen, dass alle Fenster zersprungen waren; für gewöhnlich will ich an genau der Stelle aufwachen, da ich aus Erfahrung weiß, dass ich in wenigen Schritten Daniel erblicken werde, der noch auf dem Rücksitz angegurtet ist, während sein blutüberströmter kleiner Arm in der Luft nach Hilfe winkt. Ich renne dann noch schneller, um zum Auto zu gelangen, doch wenn ich endlich dort eintreffe, ist es zu spät. Daniel lebt noch und sieht mich an, aber das Licht in seinen wunderschönen blauen Augen erlischt, und er stirbt, bevor wir ein Wort zueinander sagen können. Es ist mir nicht einmal vergönnt, seine ausgestreckte Hand zu berühren, bevor er weg ist, und ich hasse mich dafür, dass ich nicht in der Lage gewesen bin, schneller zu rennen.
Allerdings stimmte in dieser Nacht mit dem Traum etwas nicht; etwas war anders, denn als ich mich dem Wagen näherte, befand sich Daniel nicht auf dem Rücksitz. Er war überhaupt nicht im Auto, ebenso wenig seine Mutter, die an sich über dem Lenkrad zusammengesunken sein sollte, halb von der gebrochenen Lenksäule gepfählt, wie ich sie in Wirklichkeit vorgefunden hatte. Arlene saß auf dem Beifahrersitz, aber sie war nicht blutüberströmt und brüllte, wie ich es aus meiner Erinnerung kannte. Nein, sie saß einfach da, still wie ein Mäuschen, und starrte mich mit schwarzen, leeren Augen an, aus denen Hass und stumme Anklage sprachen.
Neben mir stand ein Polizist; ich drehte mich ihm zu und fragte: »Was ist hier los? Wo sind Jackie und Daniel? Sie sollten hier sein und im Auto auf mich warten wie sonst immer.«
Der Polizist bedachte mich mit einem merkwürdigen Blick, bevor er antwortete: »Der Krankenwagen ist vor etwa zehn Minuten eingetroffen. Man hat Ihre Frau und Ihren Sohn in die nächstgelegene Klinik gebracht.«
Das war mir neu. Jedenfalls hatte es sich beim echten Unfall nicht so zugetragen, deshalb war ich nicht sicher, wie ich reagieren oder was ich tun sollte.
»Sind sie tot?«, fragte ich. Natürlich waren sie das, aber ich musste irgendetwas sagen.
»Nein, Sir. Soweit ich weiß, sind beide ziemlich schwer verletzt, aber der Sanitäter, der sie behandelte, hat gemeint, sie könnten es schaffen, wenn sie rechtzeitig ins Krankenhaus kommen.«
»Welches Krankenhaus?«, hakte ich nach und fühlte mich wie ein Volltrottel, weil ich es mir gestattete, Hoffnung zu schöpfen.
Immerhin wusste ich, dass ich träumte und dass sie vor Jahren gestorben waren; doch in jenem Augenblick zählte das alles nicht. Falls sie noch lebten, und sei es nur in diesem wirren Traum, hätte ich die Chance, sie noch ein letztes Mal zu sehen. Sie zu sehen, sie festzuhalten, mit ihnen zu reden, ihnen zu sagen, wie sehr ich sie liebte und wie leid es mir tat, dass ich Jackie veranlasst hatte, unsere Familie in einer so stürmischen Nacht aus dem Haus zu schleifen, nur weil ich zu betrunken gewesen war, um selbst nach Hause zu fahren. Keines dieser Wörter könnte die Vergangenheit ändern oder irgendetwas besser machen, aber ich musste es zumindest versuchen.
»Es ist nicht weit von hier«, sagte der Polizist. »Steigen Sie in den Streifenwagen, ich bringe Sie hin.«
Arlene kletterte aus dem Wagen und kam zu uns herüber. Ich hielt die Tür des Streifenwagens für sie auf, weil ich dachte und hoffte, sie würde mich begleiten, aber sie ging ohne einen weiteren Blick zu mir in die dunkle, stürmische Nacht davon.
Sie verschwindet für immer aus meinem Leben , dachte ich. Zumindest dieser Teil stimmte.
Ich schüttelte den Kopf, um den Regen und die Tränen aus den Augen zu bekommen, sprang in den Streifenwagen und bedeutete dem Polizisten, loszufahren. Während der Fahrt betete ich, dass ich nicht aufwachen möge. Ich wollte nicht einmal mit dem
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