Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Amputiert

Amputiert

Titel: Amputiert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gord Rollo
Vom Netzwerk:
beiden ersten Betten auf der rechten Seite des Zimmers, und ein einziger Blick bestätigte meine schlimmsten Befürchtungen. Dr. Marshall hatte ihnen die Arme und Beine abgeschnitten und sie in Bluter verwandelt.
    Ich rannte zum Fußende ihrer Betten, weinte mir die Augen aus dem Kopf und wollte ihnen verzweifelt sagen, wie leid es mir tat, dass dies geschehen war, doch die Gelegenheit bot sich mir nicht. Jackie warf einen Blick auf mich, dann wandte sie vor Scham und Ekel den Kopf ab. Daniel, mein Stolz und meine Freude, drehte sich nicht weg. Nein, er starrte mir direkt in die Augen und sagte: »Sieh nur, was du uns angetan hast, Dad. Dafür werde ich dich ewig hassen.«
    Ich wachte brüllend auf; mein Laken war dermaßen von Schweiß durchtränkt, dass es sich anfühlte, als wäre ich wirklich im Unwetter aus meinem Traum gewesen. Ich weinte stundenlang, wurde von qualvollem Schluchzen gebeutelt, doch niemand kam, um mich zu trösten oder zu sehen, ob es mir gutging.
    Niemand tat irgendetwas; nicht einmal die anderen Bluter, die sich bei mir im Zimmer aufhielten. Vielleicht waren sie daran gewöhnt, Leute schreien zu hören, oder vielleicht waren sie in jener Nacht in ihren eigenen Albträumen gefangen und hatten keine Zeit, mir zu helfen, den meinen zu verarbeiten. Oder es gab auf der gesamten Welt bloß niemanden mehr, der sich auch nur einen feuchten Kehricht für mich interessierte.
    Ich schloss die Augen und wartete auf den Tod.
    Was konnte ich sonst schon tun?

Kapitel 24
    Lucas hatte recht – dieser entsetzliche Ort zerstörte einen Mann nach einer Weile.
    Es schafft ihn, bis er überschnappt.
    Damals hatte ich nicht wirklich verstanden, wie wahr seine Worte waren, und ich befand mich noch nicht annähernd so lange hier wie er, doch als die Tage in Wochen übergingen, hegte ich keine Zweifel mehr. Ich war zwar immer stolz darauf gewesen, einen starken Willen zu haben und stur zu sein, doch ich wusste, dieser Ort würde mich bezwingen. Es war nur eine Frage der Zeit.
    Die Tage, an denen sie uns Blut absaugten, konnte man komplett abschreiben – sie bestanden nur aus Schmerzen, Leid und schließlich willkommener Bewusstlosigkeit.
    An den freien Tagen, wenn sie uns in Ruhe ließen, war alles, was wir taten, zu schlafen und zu hoffen, dass die Welt enden möge.
    Bei Anbruch der Nacht steigerte sich die Anspannung, da sich die Gedanken aller – auch meine – dem zuwandten, was uns bei Sonnenaufgang erwarten würde. Erschöpfung, Benommenheit und blanke Angst waren vertraute Emotionen und bildeten einen endlosen Zyklus, den nur der selige Schlaf und die unausweichliche Ankunft der Krankenpflegerinnen mit einem neuen Schwung Nadeln durchbrachen.
    Ich wollte sterben. Dasselbe galt für den Rest der Bluter – jedenfalls für diejenigen, die noch zusammenhängend genug dachten, um zu wissen, was ihnen angetan wurde. Sie sollten uns rasch töten, es hinter sich bringen. Dieser quälend langsame Foltertod, zu dem wir verurteilt worden waren, war unmenschlich und unerträglich. Allerdings war kein Ende in Sicht, und wir konnten rein gar nichts dagegen tun.
    Zumindest konnten die Dinge unmöglich noch schlimmer werden, oder?
    Falsch.
    »Warum sind sie noch nicht gekommen?«, fragte ich Lucas. »Haben die uns schon je zuvor vergessen?«
    Ein schlechter Tag stand auf dem Programm, aber die Krankenschwestern und Pfleger waren noch nicht aufgekreuzt, um uns an die Maschinen anzuschließen. Der Uhr an der Wand zufolge hatten wir fast Mittag, und bisher hatte keine Menschenseele unseren Raum betreten.
    »Noch nie«, antwortete Lucas, aus dessen gedämpfter Stimme nackte Angst sprach. »Das ist sehr seltsam. Irgendwas muss im Busch sein.«
    Die Worte hatten seinen Mund kaum verlassen, als die Tür aufschwang und Dr. Marshall sowie Alexander Drake eintraten. Ein hörbares Keuchen ging durch den Raum, danach hätte man eine Spritzennadel zu Boden fallen gehört; alle fragten sich totenstill, was geschehen würde.
    Oh-oh. Das kann nicht gut sein.
    Dr. Marshall und Drake kamen nie in den dritten Stock zu uns. Nie. Ich bezweifelte stark, dass dies ein Höflichkeitsbesuch werden sollte.
    Lucas hatte recht. Es ist etwas im Busch. Aber was?
    Sie bewegten sich von einem Ende des Raums zum anderen und hielten bei jedem von uns an, um einen genauen Blick auf uns zu werfen, bevor sie zum nächsten Bett weitergingen. Anscheinend hatte Dr. Marshall seinen Rollstuhl außer Dienst gestellt und behalf sich nun mit einem robusten Stock. Er

Weitere Kostenlose Bücher