Amputiert
schien, während er mit einem Camcorder dastand, der in seiner riesigen Pranke wie ein Kinderspielzeug aussah. Der Ausdruck in seinem Gesicht verjagte mein Lächeln, und letztlich fiel auch mir auf, wie kalt es außerhalb der klimatisierten Welt der Burg war.
Eiskalt!
Jacke hin, Jacke her, der Wind verschlug mir den Atem und fuhr durch mich hindurch, wie Junie gesagt hatte. Ich hatte mehrere eisige Winter auf der Straße überlebt – Nächte so kalt, dass die Tränen auf dem Weg über die Wangen gefroren –, also sollte man meinen, ich wäre an schlechtes Wetter gewöhnt, aber verdammt, wenn man sich ein Jahr lang nur im Haus aufhielt, vergaß man rasch, wie grausam die Elemente sein konnten.
»Schwing deinen Kadaver hier rüber, Arschloch«, brüllte Drake.
An diesem Tag fühlte ich mich deutlich weniger als ein Filmstar.
Ich straffte die Schultern, versuchte, den Wind bestmöglich von meinem Hals fernzuhalten, und stapfte zu Drake, der im Gras stand. Ohne Zeit zu verschwenden, erteilte er mir den Befehl, einige Übungen auszuführen. Ihm war egal, was ich tat, solange ich nur in Bewegung blieb und ihm etwas zum Filmen bot. Es war albern und forschungstechnisch weitgehend wertlos, aber ich war froh darüber; die körperliche Anstrengung fühlte sich gut an und wärmte mich. Ich begann gerade, mich wieder besser zu fühlen, zumindest, bis ich zu Junie blickte, die bei Jackson neben der Tür in die Burg stand. Warum war sie dort und nicht drinnen im Warmen? Sie wirkte traurig, und je genauer ich hinsah, desto mehr kam ich zu der Überzeugung, dass sie weinte.
Um mich? Warum sollte sie weinen? Es sei denn ...
Oh-oh ...
Ich roch Ärger. Kolossalen Ärger.
»Okay, das reicht«, brüllte Drake, ließ mich innehalten und bestätigte meine Befürchtungen. »Kommen Sie her und nehmen Sie die Kamera, Junie. Bringen Sie sie in Dr. Marshalls Büro. Er wartet darauf.«
Junie kam zu uns, wollte mir jedoch nicht in die Augen sehen. Ich hatte recht, sie weinte tatsächlich. Sie nahm den Camcorder von Drake entgegen und verharrte stocksteif, schien unsicher, was sie als Nächstes tun sollte. Drake hatte die Antwort darauf parat.
»Verschwinden Sie, Junie. Sie werden nicht mehr gebraucht.«
Junie wandte sich zum Gehen. Mittlerweile strömten ihr die Tränen zügellos über die Wangen. Bevor sie losging, packte sie mich und gab mir eine innige, mütterliche Umarmung. Drake fand das irre witzig und krümmte sich vor Lachen über ihre Demonstration von Zuneigung.
»Sieh nur, Jackson«, rief Drake dem Wachmann zu. »Mike hat eine Freundin. Ist das nicht süß?«
Ich hätte Drake ja gesagt, er solle sich ins Knie ficken, aber ich war zu beschäftigt damit, Junie zuzuhören. Unter dem Schutz von Drakes Gelächter brachte sie den Mund dicht an mein Ohr und flüsterte zwei Worte: »Linke Tasche.«
Das war alles, dann zerrte Drake sie von mir und deutete ihr die Richtung zur Tür. Sie schaute über die Schulter zurück, und ich nickte ihr kaum merklich zu, um ihr zu zeigen, dass ich verstanden hatte. Dann war sie verschwunden, ließ mich in der Kälte allein mit Drake und Jackson. Noch bevor es ausgesprochen wurde, wusste ich, was kommen würde. Ich war vielleicht kein Genie, aber auch kein Vollidiot. Spiel, Satz und Niederlage. Dr. Marshall war letztlich fertig damit, mit mir herumzuspielen.
»Es ist vorbei, Mike«, sagte Drake. »Du bist für uns nicht mehr nützlich. Dr. Marshall hat mit dir alles gemacht, was er kann, und nun, da wir Fotos und Videos als Beweis dafür haben, wie erfolgreich deine Transplantation war, ist die Zeit für uns gekommen, getrennte Wege zu gehen.«
»Ihr lasst mich gehen?«, fragte ich. Natürlich wusste ich, dass das nicht geschehen würde, aber etwas anderes fiel mir nicht ein.
Drake grinste. »Nein, Mike. Ich denke, du bist klüger, als so etwas anzunehmen, also sage ich es dir geradeheraus. Jackson nimmt dich auf einen Spaziergang in den Wald mit. Wir haben dort einen kleinen – natürlich inoffiziellen – Friedhof, den wir benutzten, bevor die Verbrennungsanlage installiert wurde. Klar, wir könnten dich auch verbrennen, aber irgendwie gefällt mir die Vorstellung, dass sich Würmer und Maden an dir gütlich tun werden. Eine Verbrennung scheint mir für einen jämmerlichen, kleinen Unruhestifter wie dich zu gut zu sein.«
Eine Minute lang erwiderte ich nichts – teilweise, weil ich ihm die Befriedigung nicht gönnen wollte, größtenteils jedoch, weil ich Angst hatte. Ganz gleich,
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