Amsterdam
sprang er auf und füllte ihre Gläser nach. Das Schweigen, mit dem sich der Themenwechsel ankündigte, lastete schwer. Clive setzte sein Glas ab und ging ans andere Ende des Ateliers, dann kam er zurück, wobei er sich sanft den linken Handteller massierte.
»Ich habe über Molly nachgedacht«, sagte er schließlich. »Wie sie gestorben ist, wie schnell es ging, wie hilflos sie war, daß sie so nicht hätte sterben wollen. Dinge, die wir schon mehrfach beredet haben.«
Er hielt inne. Vernon nahm einen Schluck und wartete ab.
»Die Sache ist die. Ich bin neulich selbst etwas in Panik geraten…« Er hob die Stimme, um Vernons besorgter Nachfrage zuvorzukommen. »Wahrscheinlich nichts Ernstes. Du weißt schon, nachts leidet man unter Schweißausbrüchen, und bei Tageslicht kommt man sich töricht vor. Davon will ich nicht sprechen. Es ist bestimmt nichts Ernstes, aber ich vergebe mir nichts, wenn ich dich trotzdem frage. Mal angenommen, ich würde, wie Molly, schwer erkranken, und es ginge mit mir bergab, und ich würde schreckliche Mißgriffe tun, du weißt schon, wirres Zeug reden, nicht mehr wissen, wie die Dinge heißen oder wer ich bin, etwas in der Art. Ich würde gern wissen, daß es jemanden gibt, der mir beistehen würde, um der Sache ein Ende zu bereiten… Ich meine, jemanden, der mir beim Sterben hilft. Besonders wenn ich das Stadium erreiche, wo ich selbst keine Entscheidung mehr treffen oder danach handeln könnte. Also, was ich damit sagen will – ich bitte dich als meinen ältesten Freund, mir zu helfen, falls ich je das Stadium erreichen sollte, wo du merkst, daß es das [63] Richtige für mich ist. So wie wir Molly geholfen hätten, wenn wir dazu in der Lage gewesen…«
Clives Stimme verlor sich im Ungefähren. Er war leicht beunruhigt, denn Vernon stierte ihn mit erhobenem Glas an, als sei er beim Akt des Trinkens zur Salzsäule erstarrt. Clive räusperte sich geräuschvoll.
»Es ist eine eigenartige Bitte, ich weiß. Außerdem ist es hierzulande illegal, und ich will nicht, daß du mit dem Gesetz in Konflikt gerätst, vorausgesetzt natürlich, du wärest überhaupt einverstanden. Aber es gibt Mittel und Wege, es gibt Orte, und wenn es je dazu käme, würde ich dich bitten, mich ins Flugzeug zu setzen und dorthin zu bringen. Es ist eine schwere Verantwortung, etwas, worum ich nur einen engen Freund wie dich bitten konnte. Ich kann nur sagen, es ist keine Kurzschlußhandlung. Ich habe lange darüber nachgedacht.«
Da Vernon immer noch schweigend dasaß und ihn anstarrte, fügte er einigermaßen verlegen hinzu: »So, jetzt weißt du Bescheid.«
Vernon stellte sein Glas ab, kratzte sich am Kopf und erhob sich.
»Du willst nicht davon sprechen, weshalb du in Panik geraten bist?«
»Ganz gewiß nicht.«
Vernon blickte auf seine Uhr. Er würde zu spät zu George kommen. Er sagte: »Hör zu, das hat’s ganz schön in sich, was du dir da ausbittest. Ich muß mir das erst einmal durch den Kopf gehen lassen.«
Clive nickte. Vernon bewegte sich auf die Tür zu und ging als erster die Treppe hinunter. Wieder umarmten sie [64] sich in der Diele. Clive öffnete die Tür, und Vernon trat in die Nacht hinaus.
»Ich muß darüber nachdenken.«
»Ganz recht.«
Beide Männer akzeptierten, daß die Art des Gesuchs, seine Vertraulichkeit und das Licht, das es auf ihre Freundschaft warf, für den Augenblick eine unbehagliche emotionale Nähe hergestellt hatte, mit der sie am besten umgehen konnten, indem sie sich ohne ein weiteres Wort trennten. So eilte denn Vernon auf der Suche nach einem Taxi die Straße entlang, und Clive stieg wieder die Treppe hinauf, zu seinem Klavier.
[65] 4
Lane öffnete die Tür zu seiner Villa in Holland Park selbst.
»Du kommst aber spät.«
Vernon nahm an, daß George sich in der Rolle des Pressezaren gefiel, der seinen Chefredakteur zu sich bestellt, entschuldigte sich nicht, antwortete auch nicht und folgte seinem Gastgeber durch die helle Eingangshalle in den Salon. Glücklicherweise gab es hier nichts, was ihn an Molly erinnerte. Das Zimmer war in einem Stil möbliert, den sie einmal als »Buckingham Palace« bezeichnet hatte: dicke senfgelbe Teppiche, große altrosa Sofas und Sessel mit erhabenen Reben- und Schnörkelmustern, braune Ölgemälde mit grasenden Rennpferden und in schwere Goldrahmen gefaßte Drucke von Fragonards bukolischen Damen auf Schaukeln, die ganze üppige Leere überhell beschienen von lackierten Messinglampen. George erreichte die
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