Amsterdam
immer lag die erste Besteckgarnitur von Woolworth in derselben Küchenschublade wie das antike Silberbesteck. Ölgemälde englischer und dänischer Impressionisten hingen neben vergilbten Postern, mit denen für Clives frühe Triumphe oder für berühmte Rockkonzerte geworben wurde – die Beatles im Shea Stadium, Bob Dylan auf der Isle of Wight, die Rolling Stones in Altamont. Manche Poster waren mehr wert als die Gemälde.
Anfang der achtziger Jahre war dies das Zuhause eines ziemlich jungen, wohlhabenden Komponisten – damals hatte er bereits die Musik für Dave Spielers Kinohit Weihnachten auf dem Mond geschrieben –, und von den düsteren hohen Zimmerdecken, so dachte Clive in seinen lichteren Momenten, schien sich eine gewisse Würde auf die riesigen, klobigen Sofas und all das Zeug herabzusenken, das in der Lots Road zusammengekauft worden war – weder richtiger Trödel noch richtig antik. Der Eindruck von Ernsthaftigkeit erhöhte sich noch, als eine tatkräftige Haushälterin anfing, Ordnung zu halten. Der nicht ganz richtige Trödel wurde abgestaubt oder poliert und begann antik zu wirken. Der letzte Untermieter zog aus, und die Stille im Haus wurde kunstgerecht. Mehrere Jahre lang schien Clive durch zwei kinderlose Ehen zu hecheln, die er vergleichsweise unbeschadet überstand. Die drei Frauen, zu [60] denen er ein näheres Verhältnis hatte, lebten alle im Ausland. Susie Marcellan, mit der er jetzt zusammen war, wohnte in New York, und wenn sie zu Besuch kam, dann nie für sehr lange. Mit den Jahren und mit zunehmendem Erfolg hatte sein Leben sich auf seinen höheren Zweck verengt; er legte zwar keinen allzu großen Wert auf seine Privatsphäre, hütete sie aber wie ein Geheimnis. Es wurden keine Reporter und Fotografen mehr eingeladen, und die Zeiten, da Clive die wenigen Stunden zwischen Freunden, Geliebten und Partys nutzte, um ein paar gewagte Anfangstakte oder gar ein vollständiges Lied zu komponieren, waren längst vorbei. Das Haus der offenen Tür gab es nicht mehr.
Doch Vernon fand immer noch Vergnügen an seinen Besuchen bei Clive, denn zu einem großen Teil war er hier erwachsen geworden, und er hatte zärtliche Erinnerungen an Freundinnen, ausgelassene Abende mit verschiedenen Drogen und daran, wie er in einem kleinen Schlafzimmer im hinteren Teil des Hauses die Nächte durchgearbeitet hatte: damals, zu der Zeit der Schreibmaschinen und der Kohlepapierdurchschläge. Selbst jetzt noch, als er aus dem Taxi stieg und die Treppe zur Eingangstür hinaufschritt, verspürte er wieder, wenn auch nur ansatzweise, etwas, das er dieser Tage fast nie empfand, nämlich ein Gefühl echter Vorfreude, eine Ahnung, daß sich alles mögliche ereignen mochte.
Als Clive ihm öffnete, bemerkte Vernon keinerlei offensichtliche Anzeichen des Kummers oder der Krise. In der Diele umarmten sich die beiden Freunde.
»Im Kühlschrank steht Champagner.«
[61] Clive holte die Flasche und zwei Gläser herbei, und Vernon folgte ihm die Treppe hinauf. Die Atmosphäre im Haus wirkte beengt, und er nahm an, daß Clive ein, zwei Tage lang nicht ausgegangen war. Eine halboffene Tür gab den Blick auf ein unaufgeräumtes Schlafzimmer frei. Manchmal, wenn er konzentriert arbeitete, bat Clive die Haushälterin, gar nicht erst vorbeizukommen. Der Zustand, in dem sich das Atelier befand, bestätigte den Eindruck noch. Der Fußboden war mit Notenpapier übersät, auf dem Klavier, dem Keyboard und dem MIDI -Computer, an dem Clive gelegentlich seine Instrumentierungen ausarbeitete, standen verschmutzte Teller, Tassen und Weingläser herum. Die Luft war feucht und abgestanden, als sei sie viele Male ein- und ausgeatmet worden.
»Tut mir leid wegen der Unordnung.«
Gemeinsam räumten sie Bücher und Papiere von den Sesseln, dann setzten sie sich hin zu Champagner und Small talk. Clive erzählte Vernon von seinem Zusammenstoß mit Garmony auf Mollys Begräbnis.
»Der Außenminister hat wirklich ›Verpiß dich!‹ gesagt?« fragte Vernon. »Das hätten wir für unsere Klatschkolumne verwenden können.«
»Schon, aber ich versuche, niemandem ins Gehege zu kommen.«
Wo sie schon einmal bei Garmony waren, berichtete Vernon ihm von seinen beiden Gesprächen mit George Lane am Vormittag. Normalerweise fand Clive solche Geschichten unterhaltsam, jedoch zeigte er sich an den Fotos und der einstweiligen Verfügung überhaupt nicht interessiert und schien nur mit halbem Ohr hinzuhören. Sobald die [62] Geschichte zu Ende war,
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