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Amsterdam

Amsterdam

Titel: Amsterdam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian McEwan
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ich bin dir sehr dankbar.«
    Nach dem Anruf verblieben ihm ein paar Sekunden, um sich über Clives Benehmen zu wundern. Er hatte so traurig in ihn gedrungen und war dabei recht förmlich gewesen. Offenbar war etwas Schreckliches geschehen, und es berührte ihn unangenehm, wie kleinlich er reagiert hatte. Als Vernons zweite Ehe auseinandergegangen war, hatte sich Clive als wahrer Freund erwiesen, und er hatte ihn ermuntert, sich um den Posten des Chefredakteurs zu bewerben, während alle anderen der Meinung gewesen waren, damit [56]  vergeude er nur seine Zeit. Vor vier Jahren, als Vernon mit einer seltenen Virusinfektion der Wirbelsäule im Bett lag, hatte Clive ihn fast jeden Tag besucht, ihm Bücher, Musikkassetten, Videos und Champagner mitgebracht. Und 1987, als Vernon mehrere Monate arbeitslos gewesen war, hatte Clive ihm zehntausend Pfund geliehen. Zwei Jahre später fand Vernon zufällig heraus, daß Clive einen Kredit bei seiner Bank aufgenommen hatte. Und jetzt, da sein Freund auf ihn angewiesen war, benahm sich Vernon wie ein Schwein.
    Als er zurückzurufen versuchte, nahm niemand ab. Er war gerade dabei, erneut zu wählen, als der Geschäftsführer und der Justitiar der Zeitung eintraten.
    »Du hast uns nicht gesagt, daß du gegen Garmony etwas in der Hand hast.«
    »Habe ich auch gar nicht, Tony. Offenkundig kursiert irgend etwas, und er ist in helle Panik geraten. Jemand sollte nachprüfen, ob er auch gegen eines der anderen Blätter eine einstweilige Verfügung erwirkt hat.«
    Der Justitiar sagte: »Haben wir. Hat er nicht.«
    Tony blickte argwöhnisch drein. »Und du weißt von nichts?«
    »Nicht das geringste. Ein Blitz aus heiterem Himmel.«
    Es gab weitere mißtrauische Fragen dieser Art und weitere Dementis von seiten Vernons.
    Im Hinausgehen sagte Tony: »Du wirst doch nichts ohne uns unternehmen, Vernon, nicht wahr?«
    »Ihr kennt mich doch«, sagte der augenzwinkernd. Sowie die beiden aus dem Zimmer waren, griff er nach dem Telefon. Er wollte eben wieder Clives Nummer wählen, als [57]  sich im Vorzimmer Lärm erhob. Seine Tür wurde aufgestoßen, und eine Frau kam hereingerannt, gefolgt von Jean, die, um den Chefredakteur zu warnen, ihre Augen zum Himmel verdrehte. Weinend blieb die Frau vor seinem Schreibtisch stehen. In der Hand hielt sie einen zerknüllten Brief. Es war die legasthenische Redakteurin. Vernon hatte Mühe, aus dem, was sie von sich gab, schlau zu werden, aber einen immer wiederkehrenden Satz konnte er heraushören.
    »Sie haben gesagt, Sie würden zu mir stehen. Sie haben es mir versprochen !«
    Zu diesem Zeitpunkt konnte er es noch nicht wissen, doch in dem kurzen Augenblick, ehe sie sein Büro betrat, sollte er zum letzten Mal allein gewesen sein, bis er abends um halb zehn das Gebäude verließ.

[58]  3
    Molly pflegte zu sagen, am besten an Clives Haus gefalle ihr, daß er so lange darin gewohnt habe. 1970, als die meisten seiner Zeitgenossen noch in möblierten Zimmern hausten – ihre ersten feuchten Kellerwohnungen kauften sie sich erst etliche Jahre später –, erbte Clive von einem reichen, kinderlosen Onkel eine riesige Stuckvilla mit einem eigens eingebauten zweistöckigen Künstleratelier im dritten und vierten Geschoß, dessen gewaltige Rundbogenfenster über ein Meer geteerter Dächer nach Norden zeigten. Im Einklang mit der Zeit und mit seiner Jugend – er war einundzwanzig – hatte er die Außenwände violett gestrichen und das Innere des Hauses mit Freunden, meistens Musikern, bevölkert. Gewisse Berühmtheiten gingen ein und aus. John Lennon und Yoko Ono verbrachten eine Woche dort. Jimi Hendrix blieb eine Nacht und war vermutlich der Urheber eines Brandes, bei dem das Treppengeländer zerstört wurde. Im Laufe des Jahrzehnts beruhigte sich das Haus. Noch immer kamen Freunde zu Besuch, aber nur noch für ein, zwei Nächte, und niemand schlief mehr auf dem Fußboden. Der Stuck wurde wieder cremefarben gestrichen, Vernon blieb ein Jahr als Untermieter, Molly einen Sommer lang, ins Atelier wurde ein Konzertflügel hinaufgewuchtet, es wurden Bücherregale eingebaut, über abgetretene Auslegware Orientteppiche gebreitet und [59]  verschiedene viktorianische Möbelstücke hereingetragen. Abgesehen von ein paar alten Matratzen wurde nur sehr wenig je hinausgetragen, und genau dies dürfte Molly zugesagt haben, denn das Haus spiegelte die Geschichte eines Erwachsenenlebens – gewandelter Geschmack, nachlassende Leidenschaften und zunehmender Wohlstand. Noch

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