Amy on the summer road
sah ihn an, wie er da auf der anderen Seite des Autos saß. Irgendwann hatte ich mich an diesen Anblick gewöhnt und konnte kaum glauben, dass es damit schon bald vorbei sein sollte.
Auf der I-40 legten wir etliche Meilen zurück, ohne ein Wort zu wechseln. Roger sah immer wieder zu mir und inzwischen kannte ich ihn gut genug, um zu wissen, dass er mir etwas sagen wollte. Jedes Mal, wenn ich sah, dass er Luft holte und zum Sprechen ansetzte, drehte ich die Musik lauter. Nachdem das dreimal passiert war und sein Mix so laut durch das Auto dröhnte, dass die Scheiben vibrierten, langte Roger zum iPod und stellte ihn aus.
»Ich muss dir was sagen.«
Ich sah aus dem Fenster und machte mich auf alles gefasst. Ich hatte gewusst, dass es anders werden würde, nachdem ich ihm gesagt hatte, was passiert war. Und es sah ganz so
aus, als könnte ich den Moment nicht weiter hinauszögern. »Okay«, sagte ich. Er schaute auf die Straße, warf mir aber einen Blick zu, bevor er sprach.
»Es war nicht deine Schuld.«
Ich schüttelte den Kopf. Ebenso gut hätte er sagen können, dass der Himmel nicht blau sei. Solche Sachen auszusprechen, machten sie noch lange nicht zur Wahrheit. »Natürlich war es das«, widersprach ich. »Ich saß schließlich am Steuer.«
»Das heißt doch aber nicht, dass es deine Schuld war.«
»Lass mal gut sein«, sagte ich.
»Ich meine es ernst.« In seiner Stimme war keine Spur von Ironie. Er nahm eine Hand vom Lenkrad und zeigte auf einen blauen Lieferwagen, der gerade die Spur gewechselt hatte und jetzt neben uns fuhr. »Angenommen, dieser Lieferwagen dort schert plötzlich aus und rammt uns – ist das dann meine Schuld?«
»Nein«, räumte ich ein. »Aber ...«
»Und genauso war es nicht deine Schuld«, erklärte Roger. »Glaub mir.«
»Es ist nicht nur wegen dem Fahren. Ich hab zwei Sanitätern zugehört, die sich an der Unfallstelle unterhalten haben. Und die haben gesagt, dass das einer von den ganz seltenen Fällen war. Dass er, wenn er nicht angeschnallt gewesen wäre, wahrscheinlich auf den Rücksitz geschleudert worden und mit leichteren Verletzungen davongekommen wäre. Aber ich hab ihm gesagt, er soll sich anschnallen. Und deshalb war er auf seinem Sitz in der Falle und der Laternenpfahl hat ihm den Schädel zerschmettert.«
Ich hatte erwartet, dass Roger dabei zusammenzuckte, aber er sagte in demselben ernsthaften Ton: »Nein. Das war reine Spekulation. Keiner kann das wissen. Wenn er nicht angeschnallt gewesen wäre, hätte es ihn vielleicht nach vorn durch die Windschutzscheibe geschleudert. Möglicherweise wäre er ohne Sicherheitsgurt gar nicht auf dem Rücksitz gelandet. Woher soll man das wissen? Es war ein Unfall. Es war nicht deine Schuld.«
Ich wehrte diese Worte mit einem Kopfschütteln ab, um sie nicht an mich heranzulassen. Ich hatte seit drei Monaten mit meiner Wahrheit gelebt und glaubte nicht mehr an eine andere. »Aber wenn ich versucht hätte, es noch bei Gelb zu schaffen«, wandte ich ein. »Und wenn ich meine Schuhe nicht vergessen hätte ...«
»So kannst du nicht denken. Es war nicht deine Schuld«, wiederholte Roger leise, aber nachdrücklich. »War es einfach nicht.«
»Das weißt du doch gar nicht«, flüsterte ich.
»Du weißt es auch nicht«, beharrte er. »Es war ein Unfall. Ein schrecklicher Unfall. Du hättest nichts tun können. Du warst es nicht. Es war nicht deine Schuld.«
»Doch«, sagte ich heiser. Die Begnadigung, die er mir anbot, wollte ich nicht annehmen. Was, wenn er sich irrte?
»Nein«, sagte er nur. »Ich belüge dich nicht. Ich versichere dir, es war nicht deine Schuld.«
Dieser Satz sickerte schließlich zu mir durch. Roger hatte mich in der ganzen Zeit noch nie belogen. Ich wusste, dass ich ihm trauen konnte. Er würde jetzt nicht plötzlich anfangen zu lügen, nicht bei so einer wichtigen Sache. Der Gedanke,
dass es nicht meine Schuld war, dass ich nicht verantwortlich war, dass es nur großes Pech war und eine Kette von Ereignissen, auf die ich keinen Einfluss hatte, drang schließlich zu mir durch. Und alles, was den Damm noch zusammengehalten hatte, zerbarst auf einen Schlag, und ich fing an zu weinen. Ich ließ alles heraus, was ich die ganze Zeit so angestrengt zurückgehalten hatte. Ich war erleichtert, aber vor allem einfach traurig. Traurig, weil ich an alldem festgehalten hatte, obwohl es gar nicht nötig gewesen war.
Roger drosselte das Tempo, setzte den Blinker und fuhr auf einen Rastplatz. Er hielt neben den
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