Amy on the summer road
inzwischen ziemlich zugewucherten Rasens stand nun schon seit drei Monaten dieses Schild, das ich allmählich so abgrundtief hasste, dass es mich selbst manchmal beunruhigte. Das Schild gehörte einem Immobilienmakler
und zeigte eine grinsende Frau mit toupierter Haarsprayfrisur. FOR SALE, stand auf dem Schild und darunter in noch größeren Buchstaben: Welcome HOME .
Was die Großbuchstaben sollten, habe ich mich von Anfang an gefragt und nie eine richtige Erklärung dafür gefunden. Ich bin nur so weit gekommen, dass man so was wahrscheinlich gerne liest, wenn man erwägt, in ein Haus einzuziehen. Blöd ist es halt nur, wenn man aus diesem Haus gerade ausziehen muss.
Nie im Leben hätte ich gedacht, dass auf unserem Rasen jemals so ein Immobilienschild stehen würde. Noch vor drei Monaten war mir mein Leben geradezu nervtötend normal vorgekommen. Wir wohnten in Raven Rock, einem Vorort von Los Angeles. Meine Eltern waren beide Dozenten am College of the West, einer kleinen Hochschule, zu der man von uns aus zehn Minuten mit dem Auto brauchte. Nahe genug also, um einen kurzen Arbeitsweg zu haben, aber auch weit genug weg, um nicht jeden Samstag die Saufgelage der Burschenschaftler mit anhören zu müssen. Mein Vater hat Geschichte unterrichtet (Bürgerkrieg und Reconstruction-Ära) und meine Mutter englische Literatur (Moderne).
Mein drei Minuten jüngerer Zwillingsbruder Charlie hatte bei seinen mündlichen Vorprüfungen an der Highschool ausgezeichnet abgeschnitten und hätte um ein Haar eine Anzeige wegen Drogenbesitz kassiert, wenn er nicht dem Bullen, der ihn deshalb hochnehmen wollte, erfolgreich eingeredet hätte, dass das Päckchen Gras in seinem Rucksack in Wirklichkeit eine seltene kalifornische Kräutermischung
namens Humboldt und er selbst Lehrling an der Gastronomieschule Pasadena sei.
Ich hatte gerade angefangen, in den Theaterstücken an unserer Highschool Hauptrollen zu übernehmen, und dreimal mit Michael Young, Studienanfänger am College (Hauptfach noch unklar), rumgeknutscht. Mein Leben war zwar nicht gerade perfekt – meine allerbeste Freundin Julia Andersen war im Januar nach Florida umgezogen –, aber im Nachhinein betrachtet doch ziemlich super. Nur dass mir das damals nicht so klar war. Ich war immer davon ausgegangen, dass alles mehr oder weniger so bleiben würde.
Ich hielt Ausschau nach dem unbekannten Subaru, dessen mir ebenso unbekannte Insassen sich immer noch unterhielten, und dachte – nicht zum ersten Mal –, wie dämlich ich doch gewesen war. Und ein Teil von mir (der sich irgendwie immer nur dann meldete, wenn es schon spät war und vielleicht ein bisschen Schlaf für mich angebracht wäre) stellte die bohrende Frage, ob irgendwie ich selber das alles verursacht hatte, weil ich mir so sicher gewesen war, dass sich nie etwas ändern würde. Ganz abgesehen von meinen anderen Fehlern, die dazu geführt hatten.
Meine Mutter beschloss gleich nach dem Unfall, das Haus zu verkaufen. Charlie und ich wurden dabei nicht gefragt, sondern nur informiert. Nicht, dass es was gebracht hätte, Charlie zu fragen. Seit dem Unfall war er so ziemlich ununterbrochen auf Drogen. Bei der Beerdigung hatten alle ganz betroffen getuschelt, weil sie dachten, seine blutunterlaufenen Augen kämen vom vielen Heulen. Offenbar hatten die Leute alle schwerwiegende Nasenprobleme, denn bei Charlie roch
man schon zehn Meter gegen den Wind, was los war. Schon seit der 7. Klasse musste er hin und wieder ordentlich abfeiern, und voriges Jahr war es heftiger geworden. Aber nach dem Unfall wurde es derart krass, dass der rauschfreie Charlie zu so einer Art Sagengestalt wurde, an die sich kaum noch jemand erinnern konnte. So ähnlich wie der Yeti.
Die Patentlösung für unsere ganzen Probleme, so befand meine Mutter, hieß Umzug. »Wir fangen noch mal ganz neu an«, hatte sie uns eines Abends beim Essen eröffnet. »An einem Ort, an dem nicht so viele Erinnerungen hängen.« Das Schild der Maklerfirma wurde gleich am nächsten Tag aufgestellt.
Wir sollten also nach Connecticut ziehen, in einen Bundesstaat, in dem ich noch nie gewesen war und auf den ich auch nicht sonderlich viel Bock hatte. Oder, wie mein Englischlehrer Mr Collins es formulieren würde, wohin ich nicht den Wunsch hegte, meinen Wohnsitz zu verlegen. Meine Großmutter wohnte zwar dort, aber sie war uns immer besuchen gekommen, da wir ja nun mal in Südkalifornien wohnten und sie eben in Connecticut. Und nun hatte meine Mutter vom
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