An Alle! Gesucht wird Mörder... Kommissar Morry
verlassen, das ihm wahrlich in den letzten Tagen treu zur Seite gestanden hatte.
Aber das Glück ist launisch und wechselhaft. Kaum hatte der Fremde mit dem hageren Gesicht den Raum betreten, befand er sich schon mitten in dem brodelnden Hexenkessel des drittklassigen Amüsierladens. Einige Sekunden blieb er wie angewurzelt dicht neben dem Windfang stehen. Die schrillen Töne der wildhämmernden Music-Box drohten seine Trommelfelle zu zerreißen. Angestrengt versuchte er mit seinen Augen den dichten Qualm, der sich schwellend in den Raum gelegt hatte, zu durchdringen. Erst nach einigen Minuten gelang es ihm, bis zu der dichtumlagerten Theke durchzublicken, an der sich meist angetrunkene Seeleute vieler Nationen amüsierten. Angewidert wandte sich der Fremde von den haltlosen Gestalten ab und suchte sich einen Platz in der entferntesten Ecke des Lokals. Er fand noch einen freien Tisch, ließ sich müde auf einen wackligen Stuhl sinken und wartete geduldig auf das Erscheinen der Person, die er hier in diesem Lokal zu treffen hoffte.
Es verging fast eine halbe Stunde, als er plötzlich von einer weiblichen Stimme angesprochen wurde. Inzwischen war er so sehr mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt, daß er beim Klang der fremden Stimme zusammenfuhr und erstaunt in das verlebte Gesicht der Bedienung sah. Noch einmal wiederholte diese die Frage nach den Wünschen des Gastes.
„Wie?“ antwortete der Fremde immer noch abwesend. „Ach, pardon! — Bringen Sie mir bitte einen Drink!“ stotterte er verlegen, als er bemerkte, daß die Frau ungeduldig zu werden begann.
„Was wollen Sie denn? — Bier, Whisky oder nur einen einfachen Schnaps?“ Der Ton ihrer Worte klang unverschämt und frech.
„Das ist mir im Augenblick ganz gleich. Bringen Sie mir nur etwas. Hm — und dann möchte ich Sie etwas fragen. Ich nehme an, daß Sie mir die Frage beantworten können.“
„So, glauben Sie? — Na, Mister, dann warten Sie, bis ich wieder zurückkomme!“
Schon hatte sich die Frau herumgedreht und rauschte eilig zur Theke zurück.
Wieder vergingen einige Minuten nutzlosen Wartens. Doch dann löste sich die etwas rundliche Gestalt der Serviererin aus der dichten Menschentraube vor der Theke und brachte ihm einen Schnaps. Fahl stieg dem Fremden der Geruch des schlechten Getränkes in der Nase hoch. Aber er achtete nicht darauf, sondern beeilte sich, die erwähnte Frage zu stellen. Umständlich klaubte er aus seinen Taschen einige Geldstücke zusammen.
„Sagen Sie, Miß!“ begann er in leichtem Plauderton auf die vor ihm stehende Bedienung einzureden.
„Ich vermisse die Anwesenheit einer Ihrer Kolleginnen. Würden Sie mir vielleicht sagen, wo ich sie finden kann?“
„Ich verstehe Sie nicht? — Welche Kollegin glauben Sie denn zu vermissen?“ tat die Frau so, als würde Sie nicht klug aus den sonderbaren Fragen des Gastes.
„Nun!“ half dieser nach. „Miß Shannon. — Beatrice Shannon meine ich. Sagen Sie, Miß Shannon arbeitet doch noch hier in der Haifisch-Bay?“ fügte er schnell hinzu, als er bemerkte, daß sich die Augen der Frau bei der bloßen Nennung des Namens zusammenzogen und ihre Lider merklich zu zittern begannen. Er mußte lange auf eine Antwort warten. Forschend und mit unverhohlenem Argwohn fixierte ihn die Bedienung. Ihr an sich schon blasses Gesicht wurde noch um einen Schein bleicher. Gehetzt wanderte ihr Blick von dem eigenartigen Gast zum Tresen hin und gleich wieder zurück. Ein ungutes Gefühl stieg währenddessen in dem Manne empor. Seine Gedanken begannen plötzlich wilde Sprünge zu machen.
Sollte die Schwester Eric Shannons nicht mehr in diesem drittklassigen Etablissement beschäftigt sein? — Was nun, wenn er diese Frau, die doch die Schlüsselfigur für seine weiteren Pläne werden sollte, nicht mehr hier antreffen konnte? Wo sollte er Beatrice Shannon dann suchen? — Das Benehmen der Bedienung zeigte es sehr deutlich, daß sie sich lieber die Zunge abbeißen würde, als ihm auch nur ein Sterbenswörtchen über den Aufenthaltsort Beatrice Shannons zu sagen. Schon im nächsten Augenblick erhielt er seine Annahme bestätigt. Näher war die Bedienung an seinen Tisch herangetreten. In ihre verschleierten Augen trat jenes gefährliche Funkeln, das Frauen mit der jahrelagen Erfahrung ihrer Branche zu eigen ist.
„Hören Sie, Mister! — Wer sind Sie eigentlich?“ stieß sie mit heruntergezogener Unterlippe verächtlich hervor.
„Sind Sie vielleicht von der Polizei — oder etwa
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