An Alle! Gesucht wird Mörder... Kommissar Morry
Schiffsleiber, die wohl die Ursache dieses Tumults waren und eine wahre Invasion auf das Hafengebiet ausgelöst hatten. Unbeirrt schritt der Mann weiter. Das Schicksal schien ihm hold gesonnen zu sein. Bei so vielen Fremden, die in dieser Nacht diese Gegend bevölkerten, fiel seine Erscheinung bestimmt nicht weiter auf. Das war gut so, denn er konnte keinen unliebsamen Bekannten gebrauchen! Nach einigen Minuten verhielt er seinen Schritt. An der Einmündung einer Querstraße überlegte er einen Augenblick. Dann trat er näher an das an einem Pfahl angebrachte Straßenschild heran. Er kniff die Augen zusammen. Über seinem hageren, blassen Gesicht bildete sich auf der hohen Stirn eine steile Falte. Es machte ihm offenbar etwas Mühe, den Namen der Straße erkennen zu können. Ganz dicht stellte er sich unter das Schild und äugte zu dem Namen hinauf.
„Westp ...“, buchstabierte er, als lallende Worte an sein Ohr drangen.
Ein mit schwerer Schlagseite dahinschwankender Seemann kam direkt auf ihn zu.
„Hub . . . Mister! — Was suchen Sie nur an dem blöden Schild dort? Damned! Das ist doch nur ein toter Gegenstand . . . hub. Aber auf dieser Straße sind Sie richtig. Mister. . . hub! Ich sage Ihnen, Sie werden Ihr blaues Wunder erleben, wenn ...“
„Pardon, Seelord!“ unterbrach der Angesprochene den Redefluß des Volltrunkenen.
„Ich suche die Westport Street. Besser gesagt, ein in dieser Straße befindliches Lokal mit dem Namen ,Haifisch-Bay. Ist Ihnen zufällig dieses Lokal bekannt?“
„Und ob — und ob, Mister! Ich sage Ihnen, während der fünfzehn Jahre meiner christlichen Seefahrt ist mir so ein Nepplokal noch nicht vorgekommen. Wenn ich Ihnen einen guten Rat geben darf, dann meiden Sie diesen Bums. Sie werden unter Garantie genauso gerupft, wie man auch mich ...“
„Wollen Sie mir bitte sagen, wo ich dieses Lokal finde?“ fragte dennoch der nächtliche Wanderer den Redseligen.
„Goddam!“ wurde der harmlose Seebär ob der Starrhalsigkeit seines Gegenübers leicht erbost. „Wenn Sie den Rat eines erfahrenen Mannes nicht befolgen wollen, dann rennen Sie doch meinetwegen in Ihr Verderben hinein. — Sure, was geht es mich eigentlich an. Nur zu, Mister Leichtsinn! Immer der Nase nach, dann werden Sie den verfluchten Stall schon finden. Keine zweihundert Yards mehr, und Sie stehen bereits vor dem Loch.“
„Thanks, Lord!“ war die Entgegnung, die der Fremde auf die gutgemeinte Warnung des Seemannes machte.
Es waren wirklich nur knapp zweihundert Yards, und das kitschig auf gemachte Transparent der Haifisch-Bay tauchte vor den Augen des Mannes im Nebeldunst auf.
Trostlos und unheimlich gähnte ihm der nackte Steinkoloß entgegen. Außer einem breiten Einlaß wies die Vorderfront der Haifisch-Bay keine weitere Öffnung auf. Das Haus wirkte auf den Fremden wie ein Bunker, bestenfalls wie ein ehemaliger Getreidesilo. Als solcher mochte der Bau auch lange Zeit vor seinem jetzigen Verwendungszweck gedient haben.
Ein muffig-moderiger Geruch schlug dem Manne beim Eintreten in das düstere Haus entgegen. Noch lag zwischen dem durchschrittenen Eingang zur Haifisch-Bay und den eigentlichen Kaschemmenräumen ein schmaler Gang. Seitlich von dem nur mit einem Windfang versehenen Einlaß zum „drinkroom“ führte eine Wendeltreppe zu den oberen Stockwerken dieses wie eine Mausefalle wirkenden Hauses. Wenn auch der Mann, der jetzt im Begriff war, mit der Hand den schmutzigen Vorhang beiseite zuschieben und einzutreten, sich bisher noch keine Gedanken über die von dem unbekannten Seemann ausgesprochene Warnung gemacht hatte, so hätte ihn allein schon der Umstand, daß er allein und als Fremder kam, vor dem Betreten derartiger Spelunken in dunkelster Hafengegend abhalten sollen. Er hätte wissen müssen, daß es für jeden, der nicht mit den Gepflogenheiten des Hafengebietes vertraut war, mit großen Gefahren verbunden war, sich mutterseelenallein unter die reißenden Wölfe zu mischen. Jedes Hafengebiet der Erde beherbergte viele Arten von Asphalthyänen, die Nacht für Nacht auf der Lauer liegen und auf Ortsfremde, die sich in den Gewohnheiten und Gebrauchen nicht auskannten, nur zu warten schienen.
Auch er sollte den Fängen dieser Meute nicht entgehen ...
Obwohl der Mann überdurchschnittliche Fähigkeiten besaß, dachte er in seiner Harmlosigkeit keinen Augenblick an die drohende Gefahr, die sich für ihn und sein Vorhaben zwangsläufig ergeben mußte. Er schien sich vielmehr auf sein Glück zu
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