An den Feuern von Hastur - 9
spielen,
die Ysaye traurig machte, und statt dessen etwas Aufmunterndes
ausw ä hlte. Deshalb hatte sie, statt sich in Ysayes Leid einzudr ä ngen,
eine direkte Verbindung von Geist zu Geist mit dem Computer herzustellen versucht.
Sie hatte ihr Ich auf ihn zubewegt, als schalte sie sich in die
Relais ein, und er hatte sie gepackt, pl ö tzlich und ohne Warnung. Er war eine Intelligenz, wenn auch von einer Art, der sie noch nie
zuvor begegnet war, und sehr m ä chtig. Tats ä chlich m ä chtig genug,
um sie in Angst und Schrecken zu versetzen. Sie kam sich wie eine
Skorpion-Ameise vor, die zu der Sohle eines Stiefels hochblickt. Gleich darauf gelang es ihr, die Panik zu bezwingen, denn der
Computer ignorierte ihre Gegenwart, obwohl er sie hereingezogen
hatte. Sie sah sich um. Nach all der Ausbildung zur Bewahrerin
und den vielen Stunden ü bung in den Relais und in der ü berwelt
fand sie es verh ä ltnism ä ßig einfach, ihr Ich und das Bewußtsein ihrer
Identit ä t aufrechtzuerhalten.
Doch selbst f ü r Leonie war dieser Ort, der kein Ort war, seltsam
und beunruhigend. Sie meinte, in einer weiten und verlassenen Leere zu stehen, Energiestr ö me summten ü berall um sie herum, und
unsichtbare Landschaften, eine Schicht ü ber der anderen, waren so
gerade eben außer Reichweite.
Das hier hatte keine ä hnlichkeit mit der ü berwelt. Die ü berwelt
verhielt sich zu diesem Ort wie eine Schutzh ü tte zu Burg Hastur. Leonie versuchte zu visualisieren, wie sie sich bewegte. In der ü berwelt h ä tte sie gesehen, wo sie war und wohin sie ging. Es war
ein Gef ü hl, als ob sie sich bewege, doch sie bewegte sich durch ein
Grau ohne irgendeinen visuellen Anhaltspunkt. Und sie hatte auch
keine Kontrolle ü ber ihre Geschwindigkeit. Unvermittelt verlangsamte und beschleunigte sie. Ihre Desorientierung wuchs, und dazu wurde ihr ein bißchen ü bel. Sie nahm ihre ganze Willenskraft zusammen, um anzuhalten, und anscheinend funktionierte es, aber sie
hatte keine Ahnung, wo sie begonnen hatte und wo sie gelandet war. Dunkelheit erstickte sie. Es gab nichts, wonach sie sich richten
konnte.
Das war noch schlimmer, als wenn jemand sich im Inneren einer
Matrix befand.
Leonie nahm sich zusammen und konzentrierte sich darauf, ein
ganz deutliches Bild ihrer selbst zu projizieren — Leonie Hastur, was
sie wollte und wohin sie wollte. Was nat ü rlich raus hier war. Wo hier auch sein mochte.
Sie sagte sich, es gebe keinen Grund zur Panik, dies sei nicht
mehr als ein sehr unerfreuliches Erlebnis. Schließlich war sie nicht
k ö rperlich hier. Ihr K ö rper ruhte sicher hinter dem Schleier von Arilinn, und nur ihr Bewußtsein, ihre Wahrnehmungsf ä higkeit, war in
den Computer gelangt. Ganz gleich, wie unangenehm es war, sie
brauchte bloß zu warten, und schließlich w ü rde sie in ihren K ö rper
zur ü ckkehren — oder zur ü ckgebracht werden.
Oder nicht?
Wenn dieser Computer eine Intelligenz war, wie sie geglaubt hatte, sollte sie vielleicht mit ihm wie mit einer Intelligenz verhandeln.
Sie m ü ßte doch mit ihm kommunizieren k ö nnen!
Mit aller Willenskraft formte sie ihre Gedanken zu einer ganz
spezifischen Frage.
Wer bist du?
Nach langer Zeit traf aus dem Grau eine Antwort ein. TE Modell S14C, Vielzweck-Multitasker.
Die Antwort hatte keinen Sinn, aber wenigstens hatte er ihr
geantwortet. Hilf mir! verlangte Leonie.
Nennen Sie Art des Problems, summte die Stimme. Art des Problems? Ich will hier raus, erwiderte Leonie. Anfrage nicht ordnungsgem ä ß formuliert.
Das brachte sie nirgendwohin! Von neuem sah sie sich um. Sie
meinte, im dunklen Grau schimmernde Linien zu erkennen, und da
es nichts Besseres gab, was sie leiten konnte, entschloß sie sich, einer
von ihnen zu folgen.
Vielleicht f ü hrte die Linie sie hinaus.
Kaum hatte sie daran gedacht, das zu tun, da sauste sie auch
schon mit f ü rchterlicher Geschwindigkeit an einer der Linien entlang.
Dann knallte sie — ein anderes Wort daf ü r gab es nicht — in ein
riesengroßes Netz.
Es f ü hlte sich irgendwie metallisch an, gleichzeitig kalt und heiß,
und es schleuderte sie von der Spur, der sie gefolgt war. Sie hatte einmal einen ü berlauf an Energie von den Relais abbekommen, und genauso f ü hlte sie sich jetzt, es kribbelte, jedes einzelne Haar stand
zu Berge, und f ü r einen Augenblick war sie benommen. Und was sich nach derselben Stimme anh ö rte, einem nichtssagenden Summen, erwiderte tonlos: Nennen Sie die Art des Problems. Nicht schon wieder! st ö hnte
Weitere Kostenlose Bücher