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An den Feuern von Hastur - 9

An den Feuern von Hastur - 9

Titel: An den Feuern von Hastur - 9 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer-Bradley
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von neuer Demut. Das haben meine Lehrerinnen versucht, mir beizubringen. Und ich war so t ö richt, daß ich glaubte, ich m ü ßte mit einem Mal perfekt sein und alles wissen.
Das griff Ysaye seltsam ans Herz. Es ging ihr durch den Sinn, daß sie, w ä ren die Umst ä nde anders gewesen, ein Leonie sehr ä hnliches M ä dchen als Tochter h ä tte haben k ö nnen.
Nein. Das war unwiderruflich vergangen. Es war genug, daß diese arroganteste aller jungen Frauen an etwas anderes als ihre eigenen W ü nsche dachte. Und es war genug, daß sie irgendwie einen Platz als Leonies Mentor gewonnen hatte. Keiner von ihnen w ü rde es n ü tzen, wenn sie sich selbst mit ungesunder Selbstbeobachtung qu ä lten.
Welche Musik m ö chtest du gern h ö ren, Leonie? Wagner?
Leonies Gedanken strahlten auf. Offenbar hatte sie eine Vorliebe f ü r Heldenmusik, große Orchester und alles ü berlebensgroße. Wenn du so freundlich sein willst, antwortete sie.
Ysaye konnte die in diesem Zimmer gespielte Musik ü ber das Computer-Terminal kontrollieren. Sie rief das Musikprogramm auf und gab den Walk ü renritt ein. Danach sollte der Computer eine Zufallsauswahl treffen.
Was sind Walk ü ren, Ysaye?
Kriegerjungfrauen. Ysaye gab ihr ein geistiges Bild von Br ü nhilde in voller R ü stung, mit Z ö pfen, gefl ü geltem Helm und alldem. Sie stammen aus germanischen Sagen, die die Grundlage f ü r diese Oper bilden.
Leonie erwiderte mit einem Bild einer t ü chtigen, muskul ö sen Frau mit kurzgeschnittenem Haar (der erste Hinweis auf kurzes Haar bei Frauen, den Ysaye in dieser Kultur bekommen hatte) und einem kurzen Schwert, bekleidet mit etwas wie einem geteilten Rock und einer roten Jacke.
Wie unsere Entsagenden, erkl ä rte Leonie. Tapfer und von niemandem abh ä ngig. Manchmal w ü nsche ich mir, eine von ihnen zu sein.
Ich manchmal auch, gestand Ysaye sehns ü chtig. Eine Kriegerjungfrau, unber ü hrt — bewaffnete Engel, denen die Welt nichts anhaben konnte.
Der Computer w ä hlte Berlioz, und Leonies Freude war deutlich wahrzunehmen. Dann kam einer der Bach-Chor ä le, als versuche der Computer, sie durch die Auswahl ihrer Lieblingsst ü cke zu tr ö sten, und dann der letzte Satz von Beethovens Neunter mit der Hymne an die Freude . Ysaye merkte, daß Leonie mit dem deutschen Text
    nichts anzufangen wußte, und lieferte ihr eine moderne ü bersetzung, die sie selbst im College gesungen hatte.
Die Worte waren selbst nach Ysayes nicht sehr hochgeschraubten
Anspr ü chen banal, aber die Magie von Beethovens Musik hatte sich
ihr mit einer sehr realen Inspiration eingepr ä gt. Mit einem Gef ü hl
schmerzlichen Verlustes dachte sie an die junge Idealistin, die diesen
Text gesungen hatte — doch wie weit entfernt lag das Banale von dem
Archetypischen? Tr ä nen liefen ihr ü ber die Wangen, als das Finale
einsetzte, Tr ä nen, die sie bis jetzt nicht hatte vergießen k ö nnen oder
wollen.
Vielleicht hatten die Techniker recht. Vielleicht war der Computer sich ihrer Person auf primitive Weise bewußt und wollte sie
tr ö sten, so gut er konnte. Einer Erleichterung durch Tr ä nen hatte sie sich verweigert, bis die vom Computer ausgew ä hlte Musik sie
zum Weinen zwang.
Sie weinte leise, aber nicht l ä nger mit Scham oder Angst, um
alles, was sie in den letzten paar Tagen verloren hatte — tats ä chlich
alles von ihrer Unschuld bis zu ihrer Weiblichkeit. Und alles war
unwiderruflich dahin.
Die Musik verklang und ließ nichts als Stille zur ü ck. Ysaye bekam
sich endlich wieder unter Kontrolle.
Die Stille war ebenso physisch wie mental.
Leonie? rief sie. Das M ä dchen konnte sie doch nicht so abrupt
verlassen haben . ohne ihr Lebewohl zu sagen.
Ysaye? Die mentale Stimme klang schwach und voller Panik
Ysaye! Ich bin der Musik gefolgt, ich wollte den Computer veranlassen, etwas auszusuchen, das dich aufheitert!
Was? Was in aller Welt meinte das M ä dchen?
Pl ö tzlich begriff Ysaye. Offensichtlich hatte Leonie aus ihren Gedanken die Personalisierung des Computers ü bernommen und
glaubte nun, er habe einen eigenen Verstand.
Irgendwie hatte sie sich in den großen Computer ü bertragen. Und jetzt war sie, wenn das Ausmaß ihrer Angst ein Hinweis war,
in dem Computer gefangen!
    XXI
    Anfangs hatte Leonie keine Ahnung, was mit ihr passiert war. F ü r Ysaye war der Computer eine andere Art von Person, ei
ne, die manchmal sogar f ä hig zu sein schien, ihre Gedanken zu lesen. Leonie wollte, daß der Computer aufh ö rte, Musik zu

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