An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)
würde. Nur langsam füllte sich ihre Brust mit etwas, das sie noch nicht zu fassen bekam. Erkenntnis, ja, Erkenntnis.
Ich bedeute ihm etwas .
Viel.
Fort war das Elend. Sein Leiden. Ihres. Fort dieser Wagen und der Krieg. Was blieb, wenigstens für die Dauer einiger Atemzüge, war das pure Glück. Es war wie eine kleine Kugel in ihrem Herzen, zu der die Welt geschrumpft war. Doch jäh zerplatzte sie wieder, denn Janna begriff, dass er dieses Gefühl, das sie in ihm ausgelöst hatte, nicht hatte ertragen können. Sie erinnerte sich, dass er ihr in den Tagen danach aus dem Weg gegangen war. Und an seine schlechte Laune. Alles nur, weil er von diesen fremden Gefühlen nicht aus der Bahn geworfen werden wollte … Warum war das so? Weil er bei Mönchen aufgewachsen war, die ihm ihre ganz eigene Sicht über das andere Geschlecht dargelegt hatten? Weil er zeit seines Lebens kaum mehr als jene stämmigen, kindlich wirkenden Waraofrauen aus dem Delta gekannt hatte, die ihn nicht zu interessieren schienen?
In ihrer Vorstellung war ein Mann jemand, der alles über das andere Geschlecht wusste, während die Frau nichts wusste. Dass es auch anders sein konnte, zumal bei einem wie Arturo – wie hätte sie das jemals auch nur in Erwägung ziehen können?
«Du, eine Frau, die weißer ist als die weißen Mantuanas. Ich, ein Pardo auf der Flucht. Wenn ich es wagte, darüber nachzudenken, erfüllte mich nur hilfloser Zorn. Es musste ein Ende haben.» Sein Auflachen war bitter. «Das Ritual brachte allerdings gar nichts.»
«Und weil ich dich verwirrte, warst du auch vorher schon so giftig, als du mich wegen meines Fiebers nicht in Angostura abladen konntest, nicht wahr?»
Sein Mundwinkel hob sich zu der Andeutung eines Lächelns. «Ich hatte mich mit dem Gedanken zu beruhigen versucht, dass du während der Reise sowieso umkommst. Dass es nicht bei dem einen Fieber bleiben würde, hatte ich mir schon gedacht. Allerdings hast du dich als sehr zäh erwiesen.»
«Und ich hatte geglaubt, du schleppst mich mit, weil du Lösegeld für mich willst.»
Sein Kopfschütteln war so verwirrt wie erstaunt. Sein warmer Blick brachte die alte Vertrautheit zurück, die sie in den schönen Tagen in der Mission empfunden hatten. Und plötzlich war es ihr unmöglich, den Abstand länger zu ertragen. Wie hatte sie warten können – sie hatte doch nur eine Viertelstunde! Sie überwand die letzten Schritte, die letzte Hürde. Ihre Finger spreizten sich über dem Brandzeichen, zögerten, warteten auf einen Einwand. Als sie die Hand darauflegte, sanken seine Lider. Seine Brust hob sich zu einem tiefen Atemzug.
Ihre Handfläche begann zu glühen. Von draußen nahm sie das Gemurmel der Wachsoldaten wahr, das Prusten und Schnauben der wartenden Pferde und aus weiter Ferne die Geräusche des Krieges. Ewig hätte sie ihre Haut auf seiner spüren wollen.
Ihre Hand glitt seitwärts; ihre Fingerspitzen berührten seine alten Narben. Immer noch hielt er still. Stammten auch sie von einem solchen Ritual? Und diese unterhalb seines Auges … Ihr Zeigefinger strich darüber. Seine Lider sanken herab, und er schien der Berührung zu lauschen. Wie war es zu dieser Narbe gekommen? Viel zu viele Fragen für diese viel zu kurze Zeit! Sie alle drängelten in ihrem Kopf, wollten gleichzeitig heraus. «Wie bist du in die Hände der Miliz geraten? Was ist passiert, damals vor einem Jahr?»
Er löste ihre Hand, indem er zurücktrat und sich auf die Bank hockte. Sein Kopf sackte nieder. «Das musst du nicht wissen.»
«Doch, ganz bestimmt.»
«Wozu?» Seine alte Sturheit! Plötzlich war es ganz selbstverständlich, sich an seine Seite zu setzen und den Arm um seinen Rücken zu legen.
«Bitte mich nicht, Janna!»
Sie legte eine Hand in seine Armbeuge. «Dein Weigern wiegt schwerer, als wenn du es mir sagst. Bitte!»
Es schien, als wolle er beide Hände in einer entnervten Geste hochwerfen, doch die Fessel hinderte ihn daran. «Deine alte Neugier! Es ist deinetwegen geschehen.»
Ihr wurde heiß vor Entsetzen. Ihretwegen? Wie konnte das sein?
«Du hattest dich in die Büsche geschlagen, um dich in einem verfallenen Haus umzuziehen.» Der blauschwarze Vorhang seiner Haare verbarg sein Gesicht. «Mich beschlich bald ein ungutes Gefühl, also bin ich dir gefolgt. Und entdeckte ein paar spanische Soldaten, wie sie sich berieten, ob sie dir nachgehen und über dich herfallen sollen. In deinem bunten Indiokleid hatten sie dich nicht als eine vornehme Europäerin
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