An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)
Zeit versucht.» Ihre Stimme war noch da, und sie brach nicht. «Und je inbrünstiger ich das tat, umso mehr hast du dich in meine Gedanken gedrängt. Ich – ich habe jetzt erst erfahren, dass du seit einem Jahr im Gefängnis sitzt.»
Fahrig wischte sie sich eine schweißfeuchte Strähne aus dem Gesicht, während sie nicht davon lassen konnte, seine vertrauten Züge in sich aufzunehmen. Den alten Arturo hinter diesem wütenden Wolf wiederzuentdecken. Sich zu erinnern, dass dieser Mann einmal gelacht hatte. Aber es war schwer. So schwer. Geschlagen, zerschunden, eher einem Tier gleich – und doch wollte alles in ihr auf ihn zu, wollte in sein Indigohaar fassen, in seinen unsauber gestutzten Bart, wollte ihn riechen, schmecken, in seiner Ansehnlichkeit schwelgen, sogar die Tätowierung küssen. Nie war er ihr begehrenswerter erschienen als jetzt.
Die stickige Luft ließ sie nicht mehr atmen; sie sackte auf die Bank und grub die Finger in den Ausschnitt ihres Kleides, während sie tief Luft holte.
«Und da hast du mich holen lassen?», fragte er. Sie hörte eine Spur Interesse heraus.
Sie atmete noch einmal tief durch. «Der Gouverneur hat das arrangiert.»
«Der Gouverneur?»
«Seine Frau hat mich eingeladen, in seinem Haus zu wohnen.» Warum – das zu erklären, ohne die Hazienda und somit Reinmar zu erwähnen, wäre für ihren Kopf jetzt zu viel, also ließ sie es bleiben. Sie hatte ja nur eine Viertelstunde.
«Im Haus des Statthalters hungert man wohl nicht?»
Schwang etwa Spott in seiner Stimme mit? Janna sah an sich hinunter. Die Fülle des Kleides konnte nicht verbergen, dass sie nicht mehr so schlank wie früher war. «Seit ich zurück bin, hänge ich an süßen Sachen», gestand sie. «Die Kriegszeit hat mich einigen Speck wieder verlieren lassen, aber der Rest will nicht verschwinden.» Fast hätte sie gelacht, so sehr hörte sich das nach nettem Geplauder an, als säße sie mit ihm in einem Boot auf einem Fluss, von allen Ketten frei, die sie beide banden. Weil die Wirklichkeit so schwer zu ertragen war. Weil sie bei allem Gieren nicht dieses Detail hatte sehen wollen, das seine Brust verschandelte. Jetzt sah sie es, und er bemerkte, dass sie es sah. Seine Arme ruckten hoch, kreuzten sich vor der Brust. Die Kette hinunter zu dem Eisengürtel spannte sich.
«Arturo, was ist das?»
Er schüttelte den Kopf.
Sie sprang auf, reckte sich nach seinem Arm. Auch er stand plötzlich vor ihr und funkelte auf sie herab. Für seine Länge war der Wagen nicht groß genug; er konnte den Kopf nicht ganz aufrichten. Ihre Nasenflügel weiteten sich, sogen den herben Geruch ein, den er ausströmte. Ihr schwindelte. Sie musste sich festhalten, also berührte sie eine seiner Hände. Langsam ließ er die Arme sinken.
Zunächst sah sie nichts. Die alten Brandnarben. Neue Schrammen, ein verblichener Bluterguss unterhalb seines Schlüsselbeins. Dreck, den das Wasser nicht erwischt hatte. Dann entdeckte sie das Brandzeichen. Es umrahmte seine linke Brustwarze wie eine Zange. C – Caraibe . Man hatte ihn markiert wie jene Indios zur Zeit der Konquistadoren, damit man sie hatte versklaven und töten dürfen.
«Also ist es wahr? Du bist ein Kannibale?»
«Nein.»
Da hast du’s: Nein .
Trotzdem, es musste heraus, was sie seit langem plagte: «Ich habe dich bei dieser seltsamen Zeremonie gesehen.»
Er keuchte auf.
«Ja», bestätigte sie. «Einer der Sálipure brachte mich dorthin.»
«Und?» Sein Hals bewegte sich unter schwerem Schlucken. «Hast du gesehen, dass ich einen Menschen tötete?»
«Nein, aber einen Vogel, und du hast sein Blut in deinem Gesicht gehabt. Du bist mit den Füßen ins Feuer getreten. Und dann mit dem Rücken auf brennende Kerzen gesunken. Es war so … so abscheulich! Warum hast du das getan?»
Ein Muskel zuckte auf seiner Wange. Seine Augen erschienen ihr groß. Zwei schwarze, fremde Welten und doch seit langem vertraut. Sie las in ihnen, dass er bereit war, einen Blick in seine Tiefen zuzulassen. «Janna, weil du etwas in mir tatest, das ich nicht wollte. Ich wollte dich herausreißen, hier», beide Hände hoben sich, eine legte sich an seine Kehle. «Maria Lionza verspricht Hilfe in vielen Angelegenheiten. Ich suchte den Rat beim Häuptling, um dich aus meinem Kopf zu bekommen. Ich kannte niemals zuvor eine Frau wie dich.»
Sie versuchte diese wenigen Sätze zu ordnen. Leicht machte er es ihr nicht, aber dies war nichts, worüber er, der Schweigsame, noch viele Worte verlieren
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