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An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)

An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)

Titel: An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Beto
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weiterging; aber das half ja nichts. So blieb ihr nur, die Faust in den Sitz zu schlagen. Als das Gefährt ewig auf der Stelle verharrte, warf sie sich zur Seite und presste die Handflächen ans Fenster. Das Erste, was sie sah, war ein von zwei Soldaten gezogener Handkarren, aus dem zwei gestiefelte Unterschenkel hingen und grotesk wippten, als die Männer vor einem Zelt anhielten. Sie hoben den Gefallenen heraus und schleppten ihn ins Innere, wo sich Körper an Körper reihte – ob tot oder noch lebendig, ließ sich nicht sagen. Daneben weitere Zelte, eine lange Reihe von Sonnensegeln, unter denen Verwundete kauerten; offenbar warteten sie, dass sie an die Reihe kamen, sich auf einen der Tische zu legen. Es waren einfach gezimmerte Bohlentische ebenso wie solche mit barock verschnörkelten Beinen. Sogar ein Himmelbett hatte man aus einem der Stadtpalais getragen; quer lagen vier Männer darin, und der zarte Stoff des Himmels wurde von anderen heruntergerissen, um schnellstmöglich die schlimmsten Blutungen zu stillen. Frauen schleppten Wassereimer herbei und Bündel blutiger Verbände fort, rissen Bettlaken und Tischtücher in Streifen und hielten bebende Hände. Eine Kolonne von Soldaten, dann zwei andere Kutschen und Reiter drängten und schoben sich in Jannas Blickfeld. Als sie vorbei waren, sah sie drei Soldaten, die sich die Uniformen von den schwitzenden Leibern gerissen hatten; sie hielten einen Kameraden nieder, der sich auf einem Tisch wand, das Bein blutig, zerfetzt und ohne Fuß. Ein Feldarzt setzte die Säge an. Gott im Himmel. Die Kutsche ruckte an, und Janna meinte, die Welt dort draußen bewege sich und nicht sie, eine Scheinwelt, denn was sie sah, konnte einfach nicht wahr sein. Eine endlose Reihe solcher Tische schwebte an ihr vorbei, auf denen Feldärzte um das elendige Leben rangen. An einem stand Doctor Cañellas. Zwei Männer hoben einen Leblosen herunter, und er richtete sich auf und sah hoch. In diesem Augenblick, da sein Blick Janna streifte, wischte er sich mit einem Tuch über die glänzende Stirn. Ihr war, als habe er sie gesehen.
    Sie schaffte es doch noch: auf ihre Finger zu starren, die blutige Halbmonde in ihre Haut gruben. Der Schrei einer Frau wehte vorüber: Misericordia! Waren Stunden oder nur Minuten vergangen, als die Kutsche in einer schmalen Seitenstraße hielt? Dem höflichen Klopfen folgte das Öffnen des Schlags. Janna war sich nicht sicher, ob ihre Beine sie trugen. Ihr Kopf war wie in ätherverseuchte Watte getaucht. Sie musste eine bittende Hand nach dem zu ihrer Bewachung abgestellten Leutnant recken. Er half ihr hinaus.
    Sie blickte in den Himmel. Düstere Wolken flossen ineinander. Eine Bö nahm für einen Moment den schlimmsten Gestank und das schlimmste Geschrei mit sich. Oder es war nur das Angstrauschen ihres Blutes in den Ohren, das sie alles gedämpft wahrnehmen ließ. Vorsichtig sah sie sich um. Zehn weiß gekleidete Grenadiere hatten die Kutsche eskortiert, als sei die hungernde, sterbende Stadt der wahre Feind.
    Salutierend hob der teniente coronel zwei Finger an den schwarzledernen Augenschirm seines hellen Tschakos und bat sie, ihm die schmale Gasse entlang zu folgen. Die Häuser standen so dicht, dass die Schatten den Unrat auf dem gepflasterten Boden gnädig verschluckten. Dicke Tropfen zerplatzten auf Jannas hochgestecktem Haar. An einen Regenschirm hatte sie in der Aufregung nicht gedacht. Sie schlug den Kragen des Spenzerjäckchens hoch und raffte das dunkelrote Kleid aus dichtgewebtem Kattun, das ihr das Gefühl gab, alldem nicht völlig schutzlos ausgeliefert zu sein. Ein großer Wagen, der Form nach wie ein Planwagen, jedoch ganz aus dunkel gestrichenem Holz gezimmert, nahm die Breite der Gasse fast bis zur Gänze ein. Zwei magere Rappen waren davorgespannt. Auf dem Kutschbock saßen zwei Polizisten, und hinter dem Wagen wachten weitere Grenadiere. Der Leutnant wechselte mit dem Gendarm, der an der Tür des Arrestantenwagens wartete, ein paar knappe Worte.
    «Señora», übernahm der Gendarm die Führung. «Sie haben eine Viertelstunde. Bleiben Sie unter allen Umständen am anderen Ende des Wagens. Wenn Sie wieder herauswollen, rufen Sie.»
    Ihr Puls trommelte so laut in ihren Ohren, dass sie seine Stimme kaum vernahm. Vielleicht war es auch der Regen. Er schloss den Wagen auf und öffnete die Tür. Das Trittbrett war hoch. Janna wartete nicht, dass er ihr eine hilfreiche Hand darbot, und zog sich an den Seiten der Türöffnung hoch. Welches Ende

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