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An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)

An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)

Titel: An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Beto
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anders, Arturo, du stammst von den Kariben ab. Von den Kannibalen.»
    Dieses Wort hörte Arturo zum ersten Mal.

    «Inzwischen solltest du das Zitat gut lesen können, Arturo. Also versuchen wir’s.» Frater Christoph nahm ein Schilfrohr zur Hand und klopfte auf den Rahmen, in den das Tuch eingespannt war.
    «Alle.» Das war noch recht einfach. Das nächste Wort jedoch war ein unüberwindliches Gestrüpp. Arturo ließ es aus und nahm die niedrige Hürde des nächsten. «Dar.»
    «Dar?»
    «Der? Der Arge … Erga …» Bei jedem Versuch beäugte er den Stock.
    Der Frater rollte mit den Augen. «Das ist alles Mögliche, was du da plapperst, aber kein Deutsch.»
    Die Buchstaben waren das Problem, nicht die neue Sprache. Die flog Arturo einfach zu. Nur schien das keinem der Mönche aufzufallen und ein Lob wert zu sein. Er hatte sie nacheinander gefragt, was auf dem Tuch stand, um beim nächsten Mal aus dem Gedächtnis antworten zu können. Sie hatten ihn alle ausgelacht oder geohrfeigt. Die anderen – Sklaven, Arbeiter, Waisen, er wusste nicht so recht, was sie waren – hatten gar nicht reagiert. Nur einer hatte gesagt: Dann lern’s halt. Mach sie zufrieden . Aber er wusste die Spur des torkelnden Käfers nicht richtig zu deuten. Irgendwann hatte er festgestellt, dass es ihm genauso schwerfiel, sich an seinen alten Namen zu erinnern. Oder an den seines Stammes. Er war zu Tode erschrocken.
    «Alle … der … Arde … le …»
    Das Rohr schlug auf seinen Handrücken. «Hör auf, du quälst ja meine Ohren. Wir müssen deiner Begriffsstutzigkeit anders beikommen.» Damit meinte Christoph kräftigere Hiebe als diesen. Danach entschuldigte er sich und meinte, dass es ihm selbst früher auf die Sprünge geholfen habe. Und dass er weniger kräftig zuschlug als andere Brüder. Das stimmte allerdings. Die Härte der Strafe, als er einmal einen Einbaum gestohlen hatte, um zu seinem Stamm zurückzupaddeln, würde Arturo nie vergessen. Weit war er nicht gekommen. Er hatte schnell gemerkt, dass er keine Ahnung hatte, wohin, und war zurückgekehrt.

    Der Junge lag tot vor seiner Hütte. Arturo ging hin und beugte sich über ihn, um ihn zu betrachten. Auch sein Stamm hielt nichts von den kleingewachsenen Warao. Jede Gemütsbewegung ließen sie aus ihren gedrungenen Körpern heraus, die immer so weich aussahen, als könnten sie keinen Stein drei Schritte schleppen. Man konnte sie auch schlecht gefangen halten – entweder machten sie dauernd irgendeinen Unsinn, versuchten zu fliehen oder verendeten an einer Krankheit. Deshalb taugten Warao-Männer nichts. Und ließen ihre Frauen über sich herrschen.
    Kariben sah er nur, wenn sie wieder einmal einen geflohenen Warao zurückbrachten oder frisch eingefangen hatten und Werkzeuge dafür haben wollten, die nur die Mönche besaßen. Im Unterricht, wie Frater Christoph die quälenden Stunden aus Belehrungen, Stockhieben und dem Kampf gegen die schweren Lider nannte, erfuhr Arturo, dass es früher einen regen Handel mit Menschen gegeben hatte. Auch mit versklavten Kariben; die wiederum waren von Mischlingen eingefangen worden oder auch von Weißen. Gelegentlich kam das auch heute noch vor.
    «Ich verurteile die Sklaverei», sagte Frater Christoph. «Aber besser eine durch Gewalt gerettete Seele als gar keine.»
    Arturo musste eine neue Arbeit lernen: den Jungen hinter dem Schnabelhaus, der Kirche, zu begraben. Dabei fragte er sich, ob es möglich wäre, dass er hier irgendwann seinen Vater zu Gesicht bekam, nämlich wenn dieser sich wieder einmal als Sklavenhändler betätigte. Doch nach einem Überfall weißer Männer, welche die halbe Mission zerstörten und drei Mönche und einige Arbeiter umbrachten, fragte er sich das nicht mehr.

    Es war ein Warao-Mädchen, das ihn fragte, ob er denn nie ans Weglaufen dachte. Sie nannte es Wegpaddeln – Warao benutzten ihre Füße kaum. Sie saßen beieinander, denn sie flocht einen Korb und er eine Angelschnur. Ihr Interesse galt seinem Körper, der mit den Jahren groß, sehnig und kräftig geworden war. Mit ihrem wusste er jedoch nichts anzufangen. Mir ihr selbst auch nicht – sie lachte und keckerte wie ein Papagei und heulte und jauchzte, und ständig schaukelte sie dabei auf den Fersen. So waren sie alle, eben merkwürdig. Die Frauen seines Stammes waren nicht so gewesen. Allerdings mochten ihn seine zusehends blasser werdenden Erinnerungen trügen.
    «Also, was ist?», fragte sie. «Willst du ewig hierbleiben?»
    «Ich würde gern in

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