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An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)

An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)

Titel: An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Beto
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heißen. Arturo. Das wird dir gefallen; so heißt ein berühmter Sagenheld, ein König Britanniens. Und diese Deltainsel ist dein Avalon, haha! Gefällt dir das? Äpfel haben wir hier nicht, dafür jede Menge Bananen.»
    Christoph war dürr, sonnenverbrannt und faltig, sein Haar bis auf einen Kranz abstehender Haare geschoren, wie es auch einige Indianerstämme taten, um Läuse abzuhalten. Er wirkte alt, aber sicher konnte man nicht sein, ob er nicht doch jünger war. Er führte Arturo herum, zeigte ihm fünf fremdartige Häuser und ein noch seltsameres, da es eine Spitze trug wie den in den Himmel gereckten Schnabel eines Reihers.
    «Dies ist die Mission des heiligen Franz von Assisi, und wir sind der Orden der Franziskaner. Hierher kam der Welser Ambrosius Ehinger, der Venezuela als Lehen bekommen hatte vom Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, Karl dem Fünften, in dessen weltumspannenden Reich die Sonne niemals untergeht. Die Welser waren ein deutsches Handelsgeschlecht. Sie wollten an der Küste von terra firma eine Stadt gründen, Neu-Augsburg. Die heißt heute Coro. Hier vor dieser Flussinsel ankerte ihre Karavelle, und hier wurde Ehinger von Indios bewirtet. Deshalb verfügte er, dass Mönche auf diesem Flecken eine Mission gründen sollten. Franziskaner sollten es sein, denn Franziskus liebte die wilde Natur. Hast du das alles verstanden, Junge?»
    Arturo war noch dabei, seinen neuen Namen zu verdauen. Diese Welle weiterer Namen schwappte über ihn hinweg und war fort.
    In einem der Häuser, über einem Tisch, dessen Beine in wassergefüllten Eimern standen, hing ein Tuch mit eingestickten Mustern, die aussahen, als habe man den Weg eines torkelnden Käfers nachgezogen.
    «Ein Zitat des heiligen Franziskus», erklärte Frater Christoph. «Du wirst es bald lesen können.»
    Lesen – Arturo hatte keine Ahnung, wovon er sprach. Dann bekam er noch zu hören, dass er alle sieben Tage in die Kirche gehen solle, dass er täglich Unterricht bekäme und auf der Plantage arbeiten würde wie die anderen Indios und Mestizen. Er dürfe reichlich essen, eine eigene Hängematte in einer der Hütten besitzen, und wenn er anstellig sei, sich eine Angel machen und fischen gehen.
    «Nun sag doch mal einen Ton. Ist dir das alles egal? Oder bist du stumm?»
    «Ich will zu meiner Mutter.»
    «Ah.» Unbeholfen strich ihm Christoph über die Haare. «Der Tag wird kommen, an dem du sie nicht mehr so vermissen wirst. Nun schau nicht so traurig!»
    «Ich bin nicht traurig», behauptete Arturo. Er war wütend. Einfach nur wütend auf sie und den Bruder, der nicht den Mund aufgetan hatte.

    Der Tag kam nicht. Auch nicht der, an dem er der Mutter dankbar sein würde. In den ersten Nächten lag er wach, weinte still und lauschte den tiefen Atemzügen der Jungen in den anderen Hängematten. Warum sie nicht weinten, begriff er schnell. Sie waren zu müde. Auch ihm ging es bald so. Das Tagwerk war anstrengend. Bei den Caruáque musste kein Kind arbeiten. Seine Tage hatte er auf seinem Einbaum zugebracht. Er hatte gefischt, Schlingen ausgelegt, sogar ganze Dämme errichtet, mit einer Öffnung darin, in der sich Schlangen, Fische, sogar Otter verfangen hatten auf der Suche nach einem Durchkommen. Hier musste er Bananen ernten, Strünke kleinhacken, die großen Blätter schichten, Maniokwurzeln zu Brei pressen, trocknen und mahlen.
    Nicht nur an das Arbeiten musste er sich gewöhnen. Auch daran, sich zu bedecken. Was Kleidung war, wusste er. Fremde Männer hatten gelegentlich Hemden und Beinkleider ins Caruáque-Dorf gebracht, dafür Fische und Früchte gewollt und so getan, als könne man ohne Stoff am Leib nicht leben. Und so mancher Mann der Caruáque hatte ausprobiert, was für die Alten noch undenkbar gewesen war. Nicht-Wilde, so bezeichnete man spöttisch die Fremden. Weil sie Wert darauf legten, sich zu bedecken und nicht, wie sie es nannten, ‹wild› zu sein. So wie der Vater, der ihm und Ángel die hellere Haut vermacht hatte. Und der Mutter ein buntes Kleid. Sie hatte sich immer geschämt, damit gesehen zu werden.
    Die Hose störte im Schritt, und das Hemd kratzte auf dem Rücken. So schlimm wie der Warao-Junge, der den ganzen Tag schrie und heulte, als bereite ihm der Stoff körperliche Schmerzen, fand Arturo es jedoch nicht. Bei dem Jungen halfen dann auch keine Prügel mehr.
    «Sie sind nicht nur Kinder der Natur. Sie sind Tiere », sagte Frater Christoph im Vorbeigehen, den Rohrstock unter die Achsel geklemmt. «Du bist

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