An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)
und sie wartete darauf, dass er sich wie früher verschloss. Er hatte ihren Kopf gekrault, doch nun hielt er inne. Das neugewonnene Lächeln erstarb unter der Erinnerung. Sie hob das Kinn von seiner Brust, sah das gequälte Sinken seiner Lider. Eine Träne glänzte an seiner Schläfe, lief langsam daran herab. Er schob Janna herunter, schwang sich hoch und blieb unschlüssig in dem kleinen Raum stehen.
«Erzähl es mir», flehte sie. Und wappnete sich gegen den Donner, wenn er aufschrie oder die Faust gegen die Wand schlug und das ganze Haus aufweckte.
«Ja.»
Ein Wort wie ein Mühlstein, der sich endlich bewegte.
7. Kapitel
Er war sieben. Das wusste er von seinem Bruder. Ángel war neun und konnte zählen. Er selbst konnte sich unter ‹siete› nichts vorstellen. Der weiße Mann in dem braunen Kleid schon, denn er sagte: «Sieben! Genau das richtige Alter, mit einem wohlgefälligen, arbeitsamen Leben zu beginnen. Wie heißt er?»
«Aryqeatuaro», antwortete die Mutter.
Der Mann, der wirkte, als habe er versucht, sich als Affe zu verkleiden, schien der Name zu missfallen. «Ary…»
«Aryqeatuaro.»
«Nun. Und der andere?»
«Ángel.»
«Heilige Maria, wie seltsam. Wieso Ángel?»
«Sein Vater nannte ihn so. Er ist Spanier.»
«Soso, Spanier. Den Jüngeren da hast du dir also von einem anderen machen lassen, Weib?»
«Nein, der ist auch von ihm. Die zwei anderen dazwischen auch, aber die sind tot.»
«Aha.»
Er wirkte verwirrt. Das war es ja auch: Der Vater war ein Mischling, der Sohn von Mischlingen. Ein buntes Rind , was immer das genau hieß. Er nannte sich Spanier, weil sein Großvater einer gewesen war. Er nannte sich weiß, weil er nicht rot war. Rot wie die Mutter, die er sich zur Frau genommen hatte. So hatte sie es den Söhnen erklärt. Mal war er ein Fischer, mal ein Räuber, dann wieder ein Fischer und dann ein Sklavenhändler. Sehen tat man ihn selten. Dir, Aryqeatuaro, habe ich einen Namen unseres Volkes gegeben , sagte die Mutter. Er ahnte, dass sich der Vater für ihn nicht mehr genügend interessiert hatte, um selbst einen Namen auszuwählen. Dafür klang ‹Jäger großer Krokodile› verheißungsvoll. Die Mutter war eine große Karibin, eine Frau des Stammes der Caruáque. Und der Vater, dessen Namen er nie gehört hatte, hatte sie genommen, weil sie schön gewesen war. So hatte sie erzählt.
Aber das musste lange her sein. Er kannte die Mutter nur mager, zahnlos und mit vor Hunger aufgequollenem Bauch.
Der Mann gab ihr einen großen, erdigen Stein, von dem er sagte, es sei Brot, und ein paar Münzen. «Lass deinen Jüngeren hier. Er kann hier einiges lernen und als richtiger Mensch aufwachsen.»
Er kehrte ihnen den Rücken zu und stapfte die Bretter hinauf, die in die Böschung als Treppe eingeschlagen waren. Die Mutter brach zwei Stücke von dem Brot ab und verteilte sie. Dann kniete sie vor Aryqeatuaro und nahm ihn in die Arme. «Geh hin. Er hat bezahlt für dich.»
Er schüttelte den Kopf, weil er es nicht wollte und nicht verstand.
«Dort hast du immer zu essen.»
Das war ihm egal. Auch wenn das Brot schmeckte. Er hatte es so schnell hinuntergeschlungen, dass ihm der Klumpen irgendwo in der Brust steckte.
«Geh schon, geh!» Grob stieß sie ihn in Richtung der Treppe, riss ihn noch einmal zurück, schlang die Arme um seine Schultern und schob ihn wieder fort. Stumm bat er den Bruder um Hilfe, denn der hatte im Gegensatz zu ihm ein großes Mundwerk. Der hätte sich auch mit Händen und Füßen gewehrt und ein großes Geschrei gemacht. Wahrscheinlich hatte der Affenmensch das geahnt und sich gegen Ángel entschieden.
«Der Tag wird kommen, an dem du mir dankbar sein wirst.» Die Mutter schob Ángel zum Kanu. Der Bruder stieg hinein, und sie stieß es ab und sprang hinterher. So schnell bewegte sie das Paddel, dass Aryqeatuaro dachte, es sei ein Feind hinter ihr her. Sie sah nicht über die Schulter. Ángel schon. Aber da war das Boot bereits so weit draußen, dass sein Gesicht nicht mehr erkennbar war.
Der Affenmensch sagte, er hieße Christoph und wolle Frater genannt werden. Das hieße Bruder. Auch die anderen Braungekleideten nannten sich Brüder. Aryqeatuaro hatte einen Bruder verloren und einige alte und auch jüngere Männer als Brüder gewonnen. Es war also eine ziemlich unverständliche Welt, die er da betrat. Erst recht, als Christoph ihm beiläufig sagte, dass er seinen Namen ablegen müsse.
«Ary-und-den-Rest-habe-ich-vergessen, hör zu, du wirst anders
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