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An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)

An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)

Titel: An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Beto
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Schal, der gewöhnlich darumgehörte, lag geballt in seiner Hand, und er wischte sich ständig damit übers Gesicht. Die Luft hier in diesem kleinen Raum war zum Schneiden dick. Unablässig floss ihm der Schweiß in den Nacken.
    «Was ist passiert?», fragte sie in die Runde. Er ging vor ihr in die Hocke; das Stiefelleder knirschte. Sein Lächeln fiel bemüht aus.
    «Mach dir keine Sorgen, Liebste.»
    «Reinmar – was ist passiert?»
    Er wollte nach ihrer Hand greifen, doch sie entzog sich ihm, und so stemmte er sich wieder hoch und nahm seinen Rundgang wieder auf. «Am Morgen sind spanische Soldaten gekommen. Erst hat mich einer gefragt, ob ich etwas zu essen hätte, und noch bevor ich etwas sagen konnte, sind sie an mir vorbei ins Haus gestürmt. Sie haben La Jirara, nun ja … erobert. Einer ließ sich immerhin dazu herab, mir zu erklären, dass sie von La Fidelidad kommen. Das ist eine Festung irgendwo südlich …»
    Es fiel ihr schwer, zuzuhören. Zu sehr pfiff und dröhnte es noch in ihrem Ohr, aber nicht mehr so schlimm wie zuvor. Seinen fahrigen Worten entnahm sie, dass die Männer dem Kampf mit Bolívars Trupp entkommen waren. Deserteure sogar, die sich vom Restkontingent des flüchtenden de la Torre abgesetzt hatten und sich allein durchschlugen. Mit jedem Wort und jedem Schritt, den Reinmar tat, kroch die Angst wie ein giftiges Insekt ihre Kehle hinauf. Diese Männer hatten nichts mehr zu verlieren. Sie würden ohne viel Federlesen töten, was ihnen bedrohlich erschien.
    «… sie wollten Essen, Geld, Schmuck. Dass der Krieg auch mir zugesetzt hat, interessierte sie nicht. Sie haben alles durchwühlt, und dann …» Er zog eine Grimasse, die andeutete, dass ihm das Folgende peinlich war. «Dann haben sie mich und Frau Wellhorn hier eingesperrt. Mir war gar nicht möglich, irgendetwas zu tun.»
    «Sicher töten sie uns», schnaufte Frau Wellhorn mit einem tiefen Atemzug.
    «Sie werden uns alle erschießen!» Das war Lucilas unverkennbar hohe Stimme.
    «Rede kein dummes Zeug, negrita .» Er hockte sich in einen der Sessel, legte die Arme auf die gespreizten Knie und rang die Hände. «Janna, ich mache mir Vorwürfe, dir diesen Brief geschickt zu haben. Hätte ich nur geahnt, was geschieht!»
    In hilflosem Zorn mahlte er mit den Kiefern. Er meint nicht nur das hier , dachte sie. Er meint – alles .
    Er hob den Kopf und wischte sich wieder den Schweiß herunter. Sein kantiges Gesicht wirkte wie aus Stein gemeißelt, über den Wasser geflossen war. «Es wird alles wieder gut. Wenn du nur hierbleibst. Sobald diese Leute weg sind, mache ich mich an die Arbeit. Ich bitte wieder Señor Maqueda López mit seinem Beschäler hierher; erinnerst du dich? Das ist der Besitzer des Gestüts in San Félix. Und die Unordnung ist auch schnell beseitigt: Ich heuere ein paar Leute in der Stadt an, und dann sieht es schnell manierlich aus. Es wird wieder ein wunderbares Zuhause werden.»
    Begriff er nicht, was dort draußen vor sich ging? Man konnte sie doch hören, diese Männer, wie sie herumstapften, miteinander redeten, im Haus rumorten und Gott weiß was taten! Jeden Augenblick konnte die Tür aufgehen und eine Gewehrsalve sie alle hier drinnen niedermähen. Frau Wellhorn begriff es; sie wiegte sich vor und zurück und verkrampfte die Finger vor dem von tiefen Falten durchzogenen Gesicht zum Gebet. Das Lorgnon baumelte vor ihrer Brust.
    Janna suchte nach Worten, so fassungslos war sie. Entweder er leugnete die Gefahr, um ihr La Jirara schönzureden. Oder er war über die Ereignisse verrückt geworden. Inzwischen hatte sie ja einiges über die Theorie der Tropenmiasmen gelernt. Vielleicht bekamen ihm die atmosphärischen Gifte nicht?
    Lucila quiekte wie eine getretene Maus, als aus Richtung des Salons ein Schlag und dann ein Klirren kamen. Es hatte sich angehört, als sei ein Schrank umgestoßen worden. Frau Wellhorn stimmte Eine feste Burg ist unser Gott an. Dasselbe Lied, das sie auch auf dem Rettungsboot gesungen hatte. Hatte sie damals auch schon wie eine sterbende Krähe geklungen?
    «Der Brief deiner Familie», fiel es Reinmar plötzlich ein. «Er liegt in meinem Schreibzimmer.» Er starrte zur Tür, als fiele ihm erst in diesem Augenblick ein, dass er ihn nicht holen konnte. «Es ist mir sehr unangenehm, das zu sagen, aber … ob du wohl deinen Vater um Geld bitten könntest, Janna, Liebste? Nächstes Jahr kann ich alles zurückzahlen.»
    «Reinmar!» Janna rappelte sich hoch, strich das Kleid glatt und

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