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An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)

An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)

Titel: An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Beto
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ihn stürzen würden. Aber für ihn interessierten sie sich nicht. Die Welt war ungerecht.
    Es gab noch mehr heruntergekommene Orte, je weiter sie westwärts kamen. Keinen steuerte er mehr an; ja, sie hatte den Eindruck, dass er ihnen aus dem Weg ging. Mehr als einmal sah Janna eine spanische Festung, ein wuchtiges Bollwerk aus Ziegeln und Stein, die Kanonen zwischen den Zinnen flussabwärts ausgerichtet. «Sie entstanden zum Schutz gegen einfallende Piraten», erklärte Arturo auf ihre Frage.
    Diese Festungen wirkten mit ihren von Moos und Flechten und den Schmutzlinien vergangener Hochwasser überzogenen Mauern wie Relikte alter Zeiten. Würde nicht Spaniens Flagge über den Festungstürmen wehen, hätte sie geglaubt, dort sei kein Mensch.
    Der Fluss verbreiterte sich zu einem riesigen, von Sandbänken durchzogenen See. Janna entdeckte große Segler, Einmastsegler, Fischkutter bis hinunter zu Einbäumen. Sie alle flirrten in der Hitze wie Fata Morganen. Keinem kam Arturo nahe genug, dass sie um Hilfe hätte rufen können. Aber sie hielt es nun vier Tage mit dem Drachenherrn aus – da würde sie den Rest auch noch schaffen. Einmal, als der Fluss wieder schmaler wurde, erblickte sie am südlichen Ufer sogar eine Stadt, eine richtige diesmal, mit einem langen Kai und einer Kirche. Sie versuchte sich die Karte des Landes in Erinnerung zu rufen. Rechts des Flusses erstreckte sich die Provinz Cumaná bis zur nördlichen Küste, links das Hochland von Spanisch-Guayana. Bei der Stadt musste es sich um San Félix handeln. Auf ihre Frage, weshalb er sie dort nicht einfach an Land ließ, antwortete er nur mit einem Knurren. Nun, er segelte immer in der Nähe des nördlichen Ufers, und den Fluss zu überqueren wäre gewiss ein Kraftakt. Aber lag Angostura nicht auch auf der anderen Seite?
    Bei Windstille ankerte er am Ufer, beschäftigte sich mit dem Pflegen seiner Ausrüstung, angelte oder bereitete eine Mahlzeit zu. Sein Geschick, seine Sicherheit, bei allem, was er tat, beeindruckte Janna nach wie vor. Zur Mittagszeit legte er sich schlafen. Und sie sann darüber nach, wie es wäre, wenn sie an seiner Statt segelte, sodass sie keine Zeit verlieren mussten. Sie hatte ihm vorgeschlagen, es ihr zu zeigen. Als Hamburger Deern käme sie damit gewiss zurecht. Doch er hatte ihr Ansinnen mit üblicher Ruppigkeit abgewiesen. Stattdessen ließ er sie einen Riss im Segel nähen.
    Der Fluss wurde zusehends belebter. Dörfchen und Haziendas waren hier und da zu sehen. Nach drei weiteren Tagen kam an einem schmalen Abschnitt die nächste Stadt in Sicht.
    Angostura. Es konnte nur Angostura sein. Winzig im Vergleich zu Hamburg. Hierzulande die größte Stadt weit und breit.
    Jannas Brust wurde heiß, und eine Faust schien von innen gegen ihre Rippen zu drücken. Vorfreude fühlte sich so an. Angst ebenso. Diesmal jedoch war es regelrecht Hitze.
    Wenn sie nur alle am Leben und dort sind , flehte sie inbrünstig. Frau Wellhorn, Pater Jensen … Reinmar .
    Er war es. Ja. Es fühlte sich ganz untrüglich an.
    Arturo hatte sich auf dem Deck ausgestreckt. Auf ihm lag Pizarro und genoss mit halbgeschlossenen Augen das Heben und Senken der menschlichen Brust. Ab und zu blinzelte der Leguan, wenn wieder einmal eine besonders lästige Mücke seinen Kopf umschwirrte. Janna blätterte eine Seite ihrer Lektüre um. Ob Arturo sie wohl heimlich beobachtete, wie sie es einmal getan hatte? Dachte er über sie nach, so wie sie über ihn? Sie vermied es, auf seine Lider zu blicken, ob sie wirklich ganz geschlossen waren.
    Sogar entspannt vermittelte sein Körper ungezügelte Wildheit. Das lag nicht nur an seiner Größe, an der Sehnigkeit und den Muskeln, sondern auch an den Bartstoppeln, die inzwischen seine untere Gesichtshälfte bedeckten. Eigentlich schade, dass eine so prachtvolle Kreatur, eher ein Tier als ein Mensch, im Gefängnis enden würde.
    Die baldige Rückkehr in Reinmars Arme machte sie so froh, dass sie erwog, diesen Mann sogar zu belohnen, statt ihn verfolgen zu lassen. Vielleicht mit einer niederen Arbeit auf dem Gestüt. Dann könnte sogar noch ein anständiger Bursche aus ihm werden , überlegte sie. Welch ein absonderlicher Gedanke! Diesen Mann musste man sein seltsames Leben leben lassen; er war für die Gesellschaft verloren.
    «Dort drüben ist Angostura», sagte sie laut.
    Er öffnete die Augen. Sein wacher Blick verriet, dass sie sich nicht getäuscht hatte: Er hatte nicht geschlafen. Gemächlich schob er Pizarro herunter und

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