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An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)

An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)

Titel: An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Beto
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er nichts zu tun haben. Kriege, Feldzüge, Eroberungen, Repressalien, all das hatte es in Europa bis vor kurzem so reichlich gegeben, dass man satt war bis ans Lebensende.
    «Mir erschien die spanische Besatzung leider auch hier etwas unruhig», sagte er. Um nicht zu sagen, desorganisiert. «Ich hatte wegen des Verlusts des Reisepasses und der Einreiseerlaubnis einige Laufereien zu bewältigen …»
    Del Morales winkte gestenreich ab. «Angostura ist ruhig! Seien Sie unbesorgt. Von der Politik werden Sie hier nichts merken, und langsam sind die Amtsmühlen immer. Der Libertador ist übrigens ein Pferdenarr wie Sie.»
    Seine Augen leuchteten, wenn er ihn erwähnte. Reinmar hatte gelesen, dass der Libertador ebenfalls dem Mantuano-Adel entstammte, in jungen Jahren ein reicher Lebemann gewesen war, der in den Hauptstädten Europas sein Geld vertändelt und sogar der Krönung Napoleon Bonapartes beigewohnt hatte, bevor ihn irgendein Erweckungserlebnis dazu berufen hatte, Südamerika unter einer einzigen Flagge zu einen und von der spanischen Kolonialherrschaft zu befreien. Freiheit oder Tod . Ja, und seine Uniformknöpfe waren angeblich aus dem Gold des Inkakönigs Atahualpa geschmiedet; dieses bemerkenswerte Detail hatte sich Reinmar ebenfalls gemerkt. Aber wie hieß der Kerl noch gleich? Es wäre ein Fauxpas, nachzufragen. Der Mann war schließlich ein Held.
    «Es wird Zeit für mich», del Morales y Rofes erhob sich. «Es war mir eine Freude. Ihr Spanisch ist übrigens hervorragend. Darf ich noch ein Wort des Bedauerns über den Verlust Ihrer Verlobten äußern?»
    «Sie ist nicht verloren.»
    «Verzeihen Sie. Sicher haben Sie recht. Ich darf mich empfehlen.» Del Morales streckte die Hand vor, Reinmar schlug ein; dann marschierte sein Verpächter in einem wiegenden Gang, der ein Leben im Sattel verriet, aus dem Raum. Unwillkürlich sah Reinmar an sich hinunter. Seine Beine waren kräftig, lang und gerade.
    Er trat ans Fenster. Vor ihm breitete sich sanft gewelltes Weideland aus, dahinter die Ausläufer des Guayana-Hochlandes. Würde er vor den Eingang seines Hauses treten, könnte er den Fluss flirren sehen. Die Stadt hingegen lag einige Meilen östlich. Gleich würde er wie jeden Tag hinreiten, sich nach Neuigkeiten erkundigen und der Einladung des Bürgermeisters folgen, die ihm del Morales vermittelt hatte. Als neuer Besitzer des Gestüts La Jirara war es wichtig, bei den richtigen Leuten Eindruck zu hinterlassen.
    Auf dem saftig grünen Land grasten graugescheckte Pferde – wie alle Pferde auf dem Kontinent waren sie die Nachkommen jener Tiere, welche die Konquistadoren vor Hunderten von Jahren auf ihren Schiffen mitgeführt hatten. Genau wie die menschlichen Nachkommen der Einwanderer nannte man sie Criollos. Es waren sehr kräftige, ausdauernde Tiere mit äußerst harten Hufen, mit denen er schon Bekanntschaft gemacht hatte. Pizarro, sein englisches Vollblut, hätte sich unter ihnen wie ein Gentleman ausgemacht wie er selbst unter den Venezolanern. Er hob die Hand zum Gruß, als ein Llanero-Cowboy vorüberritt. Der Mann sah mit seinem langen Bart und dem zerfransten Poncho wie ein Wilder aus. Er erwiderte den Gruß: Reinmar hatte sich seinen Respekt bei einem harten Ausritt erarbeitet.
    Seine Gedanken wanderten von seinem verlorenen Lieblingspferd zurück zu Janna. Er hätte gerne gewusst, was ihr Aguinaldo, ihr Weihnachtsgeschenk, gewesen war. Der romantische Gedanke, dass das Schicksal sie nicht auf ewig getrennt lassen würde, da sie es ihm noch geben musste, hätte ihr gefallen. Ebenso ein gemeinsamer Ausritt über diese herrlichen Weiden.
    Immer wieder sah er sie vor sich, kurz bevor das Unglück begonnen hatte: wie sie im Eingang ihrer Kabine gestanden und ihm kokett zugelächelt hatte.
    Kiek mol wedder in.
    Aber gern, Liebste.
    Er dachte an ihren zierlichen Mund und die feine Röte auf den Wangen. Die hellgrauen Augen und …
    Ein Klopfen riss ihn aus seinen Gedanken. Auf sein «Herein» kam Frau Wellhorn und begann den Tisch abzuräumen. Es gab zwei Hausmädchen, doch mit denen tat sie sich schwer, weil ihr Spanisch schlecht war und sie die hiesige Mentalität nicht durchschaute. So erledigte sie niedere Arbeiten lieber selbst. Wohl auch, um sich abzulenken.
    «Haben Sie etwas Neues gehört?», fragte sie, die beiden Teller auf dem Arm.
    «Nein.»
    Ergeben nickte sie und ging wieder hinaus. Reinmar zündete sich eine Zigarre an und trat erneut ans Fenster. Dass Frau Wellhorn mit gesenktem Kopf

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