An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)
die ihn hierher nach Venezuela geführt hatte.
Nur: Wo mochte sie jetzt sein? Frau Wellhorn hatten sie am Strand gefunden; auf einem dicken, vermoderten Ast hatte sie gesessen, ihre Schuhe mit beiden Händen umklammert, als stürme noch der Wind, und Luthers Lied von der festen Burg gesungen. Weder hatte sie gewusst, wie sie dorthin gekommen, noch was aus Janna geworden war. Irgendwo war die Jolle an Land getrieben, so viel war gewiss. So leicht ging ein Boot nicht unter; davon abgesehen hatte er sich entschieden, es zu glauben. Auch dass sie dann wie er auf Indios gestoßen war, die auf schwimmenden Plattformen in erbärmlichen Hütten wohnten und allesamt zwar wunderlich, doch auch gastfreundlich gewesen waren. Außerdem waren der Pastor und die Matrosen hoffentlich noch bei ihr. Reinmars Versuche, sie zu finden, waren bereits im Ansatz gescheitert. Niemand hatte sich auf eine so aussichtslose Suche einlassen wollen – nur einer, aber der war mit der Anzahlung der Belohnung einfach verschwunden …
Es klopfte. Ein Junge rief auf Spanisch, dass Señor del Morales y Rofes eingetroffen sei. Reinmar warf noch einen Blick auf die polierten Messingsporen an seinen Stiefeln – ein unverzichtbares Beiwerk für einen Herrn wie ihn. Dann setzte er sich einen Strohhut auf und machte sich auf den Weg durch die zweistöckige luftige Villa ins Esszimmer.
Don Carlos del Morales y Rofes erhob sich bei seinem Eintreten von einem Korbsessel. Reinmar legte grüßend den Strohhut wieder ab, reichte ihm die Hand und empfing ein joviales Schulterklopfen, wie es hier unter Männern üblich war. Auch del Morales war in englischem Stil gekleidet, sogar mit einem Degen. Ein Accessoire, das sich Reinmar unbedingt zulegen musste; in diesem Land passte das, auch wenn er weder adlig noch Offizier war. Ein Korsett hätte der Bauch des Mannes jedoch dringend vonnöten gehabt. Seine Weste spannte sich drohend, während er sich an den Esstisch setzte. Hier warteten bereits gebratene Bananen in Maisteigtaschen, schwarze Bohnen, gebratener Fisch, Karamellgebäck und Kokospudding. Während del Morales zulangte, ließ er sich von Hamburg und von der Reise erzählen. Zum Abschluss öffnete Reinmar ein teures Zigarrenkästchen und das Etui mit dem Zubehör zum Anzünden.
«Ich möchte mich verabschieden und Ihnen alles Gute wünschen», sagte der Mann, an dessen Seite er in den letzten Tagen das Gestüt und die dazugehörigen Weiden erkundet hatte. «Es wird mir schwerfallen, diese schöne Gegend hinter mir zu lassen.» Del Morales spuckte das Ende seiner Zigarre auf den Boden und sah erwartungsvoll zu, wie Reinmar das Döschen mit dem Schwefel öffnete und ein Zündholz eintauchte, das beim schnellen Herausziehen sofort Funken sprühte und zu brennen begann. «Aber ich weiß es in guten, kundigen Händen, wenn ich in Caracas bin. Ihr Deutschen geltet ja als zuverlässig und arbeitsam.»
Er beugte sich vor, um seine Zigarre anzuzünden. Versonnen rauchend sah er aus dem Fenster. Ausgiebig hatte er sich über seine Zipperlein beklagt, die ihn zwangen, sein Anwesen zu verpachten und an die Nordküste zu ziehen, wo das Klima milder war. Auch dort besaß er ausgedehnte Landgüter. «Caracas ist leider nicht so schön wie Angostura. Überall sind noch Ruinen des Erdbebens von vor vier Jahren, und es ist schmutzig und laut, und die Spanier herrschen dort wieder, nachdem der Libertador von ihnen besiegt wurde, der Teufel möge auf sie spucken! Aber ich will Sie nicht mit der hiesigen Politik langweilen, Señor Götz. Zumal Sie hier davon wenig mitbekommen werden. Wenn ich nun um die Pacht bitten dürfte?»
Reinmar holte aus dem Sekretär den bereits unterzeichneten Wechsel, den del Morales zufrieden in seine Brieftasche steckte. Er gehörte zu den Mantuanos, der edelsten Spitze der Criollo-Elite. Es waren Abkömmlinge der spanischen Konquistadoren und ersten Siedler. Die Mantuanos, vor allem die aus Caracas, sahen sich als die wahren Herren des Landes, und Reinmar nahm an, dass das der eigentliche Grund für del Morales’ Fortgang war: Er wollte zugegen sein, wenn der Libertador endlich das Joch der spanischen Herrschaft abschüttelte und in Caracas die Republik ausrief. Das wäre dann der dritte Versuch, oder doch schon der vierte? Reinmar wusste es nicht mehr. Er hatte aber läuten hören, dass diese Lichtgestalt des venezolanischen Befreiungsstrebens ihr Exil auf Jamaika verlassen hatte, um zum nächsten Schlag auszuholen. Nein, mit alldem wollte
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