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An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)

An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)

Titel: An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Beto
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hockte sich wieder an seinen gewohnten Platz. Als hätte er geahnt, dass sie über seinen Bart nachsann, holte er aus einem Lederetui ein Rasiermesser und ein bröckeliges Stück Seife. Seife? Die musste er bei diesen Leuten eingetauscht haben; zuvor hatte er sich immer nur gewaschen, indem er mitsamt Kleidern in den Fluss gesprungen war. Er verrieb die angefeuchtete Seife zwischen den Händen, schmierte sich das Gesicht ein und schabte die Bartstoppeln herunter. Dass Janna ihn dabei sehnsüchtig beobachtete, kümmerte ihn nicht. Keinesfalls würde sie um dieses Stück Seife bitten. Sie hätte es ohnehin nicht über sich gebracht, die vor Schmutz und Schweiß starrenden Stoffschichten abzulegen. Schlimm genug, dass sie einen Topf unter sich halten musste, wenn ein Bedürfnis sie plagte. Wenigstens blieb ihr die Schande erspart, sich auf diesem Boot mit den monatlichen Vapeurs herumplagen zu müssen – die würden erst in einer Woche so weit sein. Oder doch heute schon? Janna presste eine Hand in ihr schmerzendes Kreuz und reckte sich. Aber ihr tat auch der Kopf weh. Und ihr war noch heißer als ohnehin schon. Plötzlich war ihr alles egal. Sie zerrte den engen Spenzer von den Schultern und schob das Kleid bis zu den Knien herauf.

    Der Hitze war Kälte gefolgt. Sie lag in eine Decke gehüllt und schlotterte. Der Geruch des Erbrochenen in einer Schüssel, die neben ihr stand, stach ihr unangenehm in die Nase. Eine raue Hand legte sich auf ihre Stirn. Die Kraft, sie fortzustoßen, hatte sie nicht. Sie wollte nur schlafen. Oder sterben. Ja, zu sterben war besser, als sich hilflos unter den Augen dieses Halunken zu winden. Er hob ihren Kopf an und wollte ihr etwas Bitteres einflößen. Sie spuckte es aus. Er überschüttete sie mit zornigen Worten. Dann war mit einem Mal Reinmar hinter ihm, packte ihn an der Schulter und zerrte ihn hoch. Arturo zog seinen Säbel, Reinmar einen Degen. Die Klingen klirrten; das Hemd des Drachenherrn färbte sich rot. Reinmar stieß den Sterbenden von sich und beugte sich über sie. Bedauerlicherweise bilde ich mir das nur ein , dachte sie. Natürlich war es der Mann mit den blauschwarzen Zöpfen, die über seine Schultern nach vorne fielen und sie zu berühren drohten. Sie nahm schwachen Seifenduft wahr.

6. Kapitel
    Reinmar griff nach dem Vatermörderkragen, legte ihn sich um den Hals und knöpfte ihn am Hemd an. Er musste sich sputen, denn der vorige Besitzer der Hazienda war zum Mittagessen eingeladen. Sein Magen knurrte, denn er hatte das Frühstück, das man hierzulande zu nachtschlafender Zeit einnahm, ausfallen lassen. An den anderen Tagesablauf, der ihm nicht wie sonst erlaubte, bis um neun Uhr zu schlafen, würde er sich erst gewöhnen müssen. Hier ging immer die Sonne am frühen Morgen auf und am frühen Abend unter. Außerdem mutete es die Leute befremdlich an, wenn ein Mann zwei Stunden für seine Morgentoilette benötigte.
    Was waren schon zwei Stunden? Früher hatte er es gelegentlich auf vier gebracht – eine Frau wie Johanna Sievers war es schließlich wert, dass man bestmöglich gekleidet und duftend vor sie trat.
    Es erschien ihm wie Hohn, dass Janna verloren war, er jedoch seinen Kleiderkoffer gerettet hatte. Vielmehr Kapitän Vesterbrock; der hatte ihn am Strand gefunden. Einiges war vom Salzwasser ruiniert gewesen, doch einige seiner Lieblingsstücke hatten das Unglück überstanden. So auch das blütenweiße Tuch, das er sich nun um den Hals legte. Ebenso seine Sammlung kostspieliger Brokatwesten. Er wählte eine dunkelrote mit chinesischem Muster. Sie saß nicht zu fest auf seinem straffen Bauch, wie es sich gehörte – auf das Korsett, das er zwar besaß, aber noch nie benutzt hatte, würde er noch lange verzichten können. Dann schlüpfte er in den samtenen schwarzen Überrock und nahm sich Zeit, alles zu ordnen. Derweil betrachtete er sich in dem mannshohen Spiegel seines neuen Schlafzimmers.
    Das Ritual des Aufputzens kam ihm schal vor. Früher hatte er es in dem Bewusstsein getan, einer schönen Frau zu begegnen: Janna. Auch an den Tagen, da er sie nicht sah. Denn ein Mann, ein Dandy, wie sie ihn verliebt genannt hatte, musste stets gerüstet sein, einer Frau zu gefallen. Und konnte sie nicht heute zur Tür hereinkommen? Er war darauf vorbereitet. Es half ihm, den Glauben, dass sie überlebt hatte, nicht zu verlieren. Jeden Tag, jede Stunde sagte er sich, dass sie lebte, wohlauf und auf dem Weg zu ihm war. Er sagte es mit der gleichen Entschlossenheit,

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