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An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)

An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)

Titel: An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Beto
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den Sitz zu korrigieren. Dass er Frau Wellhorn immer reizen musste! Nun hauchte er auch noch einen Kuss auf Jannas Nacken. Das tadelnde Räuspern Frau Wellhorns war wie ein Pistolenschuss.
    «Ich habe auch etwas», sagte Janna leise. «Aber ich wollte erst nachher …»
    Er drückte ihre Hand, was Frau Wellhorn ärgerlich mit der Gabel klappern ließ. «Nachher ist wunderbar», sagte er mit seiner dunklen Stimme, die Jannas Körper auf noch gänzlich ungeklärte Weise zum Schwingen brachte. «Nach der Christmette, wenn alle schlafen, treffen wir uns, ja?»
    Er hatte es laut gesagt. Dieser Leichtfuß! Die alte Dame zerteilte ihr Küchlein so heftig, dass die Gabel über das Porzellan schrammte. Wahrscheinlich feilte sie hinter ihrer faltigen Stirn bereits an einer Standpauke. Sie war das schwerste Geschütz, das Hinrich Sievers hatte auffahren können, seine Tochter während der langen Reise vor Nachstellungen aller Art zu schützen. Die strenge Anstandsdame war schon in der elterlichen Villa auf der Bellevue keine angenehme Gesellschafterin gewesen. Doch während der Überfahrt von Hamburg an die Nordostküste Südamerikas hatte sie sich in einen Kettenhund verwandelt, der sich die Bezeichnung Anstandswauwau redlich verdiente. Matrosen waren schließlich ein so zügelloses Volk! In jedem Winkel der geräumigen Dreimastbark konnte eine Frau belästigt werden. Und der windige Reinmar Götz, bei Gott, sollte seine Rechte gefälligst erst dann wahrnehmen, wenn er die Tochter aus einer der besten hanseatischen Handelsfamilien an ihrer beider Ziel, Angostura am Orinoco, geehelicht hatte. Bei Gott!
    «Eine Frau lungert nicht auf dem Oberdeck herum. Schon gar nicht nachts.» Frau Wellhorns dünnlippiger Mund bewegte sich kaum, doch die Worte waren scharf. «Versprechen Sie mir, dass Sie sich das aus dem Kopf schlagen.»
    «Versprochen», antwortete Reinmar an Jannas Statt. Er neigte sich Janna zu. «Ich wollte sowieso nach unten, nach Pizarro sehen. Wenn die Bilge ein genehmer Ort wäre, mir Ihr Geschenk zu überreichen?»
    Diesmal hatte er es so leise gesagt, dass es Frau Wellhorns gespitzten Ohren entgangen sein musste. Ärgerlich verstaute sie ihre Scherenbrille wieder in ihrem Etui. Janna nickte Reinmar zu. Einverstanden , formten ihre Lippen.
    «Ist Ihnen nicht gut, Frau Wellhorn?», fragte Pastor Jensen mitfühlend.
    «Mir liegt das Essen schwer im Magen.»
    Er klopfte sich den prallen Bauch. «Das geht uns allen so. Ich habe meine Seekrankheit erst überwunden, als heute früh die südamerikanische Küste in Sicht gekommen ist. Glücklicherweise rechtzeitig zum Weihnachtsessen. Wir sollten ein wenig frische Luft hereinlassen.»
    Kapitän Vesterbrock nickte mit seinem bärtigen Seemannsgesicht dem Moses zu, der während des Dinners auf einer Fidel aufgespielt hatte und nun auf seinen nächsten Einsatz wartete. Der schlaksige Junge öffnete eines der schrägen Heckfenster. Janna reckte den Kopf. Man konnte in der Abenddämmerung, die hier in den Tropen sehr kurz war, die Küstenlinie Venezuelas erkennen. Ganz deutlich sah sie die Wipfel der gefährlichen Mangrovenwälder. Die helleren Flecken neugieriger Möwen huschten vorbei. Seit dem Morgen kreuzte die Seute Deern vor der nördlichsten Ecke des Orinocodeltas. Eines der Beiboote war an Land gerudert, um einen Lotsen anzuheuern. Die noch vom Tag aufgeheizte Luft wallte herein, schwer zu atmen und doch erfrischender als der stickige Geruch nach Holz, Tauwerk, Schweiß und den Hinterlassenschaften all der Menschen an Bord, den man sogar hier im feinen teakholzgetäfelten Salon nicht aus der Nase bekam. Durch das geöffnete Fenster erklang ein schöner, wehmütiger Shanty, unterbrochen von Gegröle und Gelächter und dem Quietschen eines Schifferklaviers. Mit einem Mal kam es Janna vor, als hätte die Reise nur fünf Tage gedauert und nicht fünf Wochen. Hatten sie nicht gestern erst in Port of Spain auf Trinidad haltgemacht? Und vorgestern die steilen Küsten Madeiras gesehen und tags zuvor die Kreidefelsen von Dover? Und dann die Zeit davor: Wohlig hatte Janna schlaflose Nächte damit verbracht, sich über Büchern zu gruseln, in denen anschaulich die Rede davon war, dass man von Stürmen und Haien verschlungen werden oder, falls man es ans Ufer schaffte, im Schlick der Mangrovensümpfe versinken konnte, welche die Küsten des östlichen Südamerika säumten. Und danach, wie würde es werden in dem fremden Land, wo alles andersartig war? Wo es Vögel gab, die wie eine

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