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An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)

An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)

Titel: An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Beto
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und Geoffrey hin und her.
    «Käpt’n, er sagt, für den Schmuck bringt er uns durch. Sonst nicht.»
    «Unerhört!», schrillte Frau Wellhorn, und diesmal zog sogar der Indio die Schultern hoch.
    «Er sagt, wir würden auflaufen, wenn wir es allein versuchen. Und dann in die Fänge des Kannibalen geraten.»
    «Schauermärchen über Kannibalen erzählen sie jedes Mal», warf einer der Nautischen Offiziere ein. Vesterbrock und die anderen Herren nickten zustimmend, doch Janna war etwas aufgefallen.
    «Er redet von dem Kannibalen. Ein einzelner Mann?»
    «Fräulein Sievers, er meint bestimmt den schwarzen Klabautermann.» Das kam natürlich wieder vom Pastor, und Reinmar lachte.
    Geoffrey und der Indio debattierten weiter. «Kein schwarzer Mann», übersetzte der Brite. «Seine Haut ist so wie meine, sagt er. Ich glaube, er meint braungebrannt, aber weiß.»
    «Ein weißer Kannibale?», fragte Reinmar neugierig. «Wer soll das sein, und wen hat er gefressen?»
    «Er sagt, er hat ein schwarzes Boot mit einer roten Schlange. Und gefressen hat er weiße Männer und eine Frau.»
    Frau Wellhorn wurde unter ihrem Puder bleich. Ihre Finger krallten sich um den eigenen Halsschmuck, als sei er eine Garotte, mit der sie erwürgt werden solle. Vesterbrock trat erneut an den Sekretär. Aus einer Schublade holte er ein Messer von beeindruckenden Ausmaßen. Er zog die Klinge ein Stück aus der ledernen Scheide und bot es dem Warao dar. Der strahlte über das ganze Gesicht.
    Man war sich einig. Frau Wellhorn entspannte sich wieder, und Reinmar meinte heiter: «Da der Schmuck meiner Verlobten geschont wurde, setzen Sie das gute Stück auf meine Rechnung, Käpt’n.»
    Sowie der Indio wieder draußen war, wedelte sich Frau Wellhorn mit der Serviette Luft zu, als habe er die Luft verpestet. «Ich hoffe, es bleibt bei einer Begegnung dieser Art, Kapitän!»
    Vesterbrock deutete einen zackigen Diener in ihre Richtung an. «Selbstverständlich, Frau Wellhorn.» Janna konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass sämtliche Herren am Tisch verzweifelt darum kämpften, nicht zu lachen.
    ***
    Im Geplapper und Geschrei der drei Dutzend Indios, die wie ein Heuschreckenschwarm über das Schiff gekommen waren, ging Pastor Jensens Lesung aus dem Matthäusevangelium gänzlich unter. Er stockte, als sich eine barbusige Schönheit reckte, um ihm ein Blütengebinde um die Schultern zu legen, und zerrte umständlich ein Taschentuch aus seinem Rock, mit dem er sich die schweißfeuchte Stirn trocknete. Die Adamsäpfel und Mundwinkel der steif dastehenden Matrosen hüpften verdächtig. Zwischen ihnen rannten die nackten Gestalten umher. Männer, Frauen und auch Kinder verteilten zwitschernd Blumenschmuck. Was ihnen seltsam vorkam, fassten sie an, jedes Tau, jede Spiere und jeden Nagel. Eine Traube hatte sich auf dem Galion gebildet und bestaunte die geschnitzte Galionsfigur unter dem Bugspriet. Zwei besonders Wagemutige kletterten die Wanten hinauf und ließen Blüten herabregnen. Die Decksluken waren geschlossen worden. Doch irgendwo hatte jemand einen Weg in den Bauch des Schiffes gefunden, und so hörte Janna unter sich das Trampeln von Schritten und trillerndes Jauchzen, wenn wieder einmal eine Seltsamkeit entdeckt worden war. Nur der angeheuerte Lotse stand neben Vesterbrock und schien der christlichen Heilsbotschaft zu lauschen, als sei seine Neugier längst befriedigt. Vesterbrocks bärtiges und von zahllosen Wetterlagen gezeichnetes Gesicht war angespannt. Wahrscheinlich überlegte er, ob wenigstens die Kapitänskabine mit dem Sextanten, dem Chronometer und all den anderen lebenswichtigen Instrumenten sorgfältig verschlossen war.
    Janna nutzte die Aufregung, von Frau Wellhorn unbemerkt die Hand in Reinmars angewinkelten Arm zu schieben. Er legte seine Hand über ihre und zwinkerte ihr zu. Die Eingeborenen verstummten, als mehr als hundert volltönende Matrosenkehlen Stille Nacht anstimmten. Auch vom Schwesternschiff, der Amsinck , wehte Gesang herüber. Im Dunkel der Nacht waren nur die Lichter der Laternen in der Rigg zu sehen und die Wellen, wenn sie sich am Schiffsrumpf brachen. Janna schätzte das Schiff fünftausend Fuß entfernt. Auch an der Amsinck besaß Hinrich Sievers Anteile, wie an drei weiteren Schiffen, die über den Atlantik fuhren, um Tabak, Kakao, Rohrzucker und viele andere begehrte Kolonialprodukte einzuhandeln. Dass die beiden Schiffe ohne sie und Reinmar zurückfahren würden – dieser Gedanke war nach wie vor unwirklich.

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