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An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)

An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)

Titel: An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Beto
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den ermordeten Kriegern der Tiri-Hueta lief, schreckte sie nicht auf.
    Einige der Krieger hatten vor kurzem noch gestöhnt. Jetzt hörte Yutid kein Stöhnen mehr. Sie hastete, den stechenden Schmerz im Unterleib missachtend, zu den Pfählen, zwischen denen Bocata gebunden war. Sein kräftiger Leib war blutüberströmt. Jetzt erinnerte sie sich, ihn schreien gehört zu haben. Sie hatte ihre Ohren davor verschlossen, während der weiße Gott zum ersten Mal über sie gekommen war.
    «Lauf weg», sagte er; sie konnte die Worte kaum verstehen, da seine Lippen blutig und geschwollen waren. «Du kannst mich nicht retten.»
    «Ich weiß.»
    Ihr Herz wollte zerspringen, weil es so schrecklich war, ihn besiegt und gedemütigt zu sehen. Allen Schmuck hatten ihm die Fremden heruntergerissen, obwohl es nur einfaches Kupfer an ledernen Schnüren gewesen war. Durch seinen schwarzen Schopf war ein Messer gefahren und hatte einen blutigen, an manchen Stellen kahlen Kopf zurückgelassen. Die Ohrläppchen waren aufgerissen, auch sie des Schmuckes beraubt. Quer über die Wangen zogen sich Striemen. Doch die Augen, die feurigen schwarzen Augen, es waren dieselben, die sie zuletzt liebevoll angesehen hatten. Yutid trank ihren Anblick. Sie trank noch, als sie hörte, dass die Fremden brüllten und durch das Lager stapften, auf sie zu.
    «Da ist die Hure, sie hat das Gold!»
    Yutid riss sich von Bocata los, drückte den Sack fest an sich und rannte, einem der Weißen ausweichend, auf den Rand der Schlucht zu. Und darüber hinaus.

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    1. Kapitel
1815
    Nach fünf Wochen Schmalhans machten die gedünsteten Haie, die in Butter gewendeten Kartoffeln und das Cassoulet aus gepökeltem Fleisch, Speck und Bohnen den Magen schwer. Janna hatte dem deftigen Essen so reichlich zugesprochen, dass sie froh war, statt eines altmodischen Korsetts das kleine Kurzmieder gewählt zu haben. Selbst das hätte sie jetzt gerne gelockert. Noch musste das Weihnachtsessen mit einem Mince Pie abgerundet werden, das ihr der Steward soeben mit Weinschaumsoße begoss. Sie drückte die Dessertgabel in die verheißungsvolle Kruste. Nicht dass sie mit all den Köstlichkeiten letztlich die Fische fütterte!
    «Einen Augenblick», raunte Reinmar in ihr Ohr.
    Die gepflegte Hand ihres Verlobten legte sich auf ihren Oberschenkel, von den Anwesenden rund um den ausladenden Eichentisch unbemerkt. Von allen? Auf ihrer anderen Seite saß Frau Wellhorn, der gewöhnlich nichts entging. Janna zog die Serviette über ihren Schoß, um seine freche Hand zu bedecken. Seine andere nestelte in der Westentasche. Ein kleines, in Seidenpapier gewickeltes Kästchen kam zum Vorschein.
    «Mein Aguinaldo für Sie, meine Liebe. So nennt man in Venezuela die Weihnachtsgeschenke.»
    In seinen Augenwinkeln bildeten sich zauberhafte Fältchen, als er es ihr in die Hand schob. Er hätte gut und gerne warten können, statt den Ablauf des Essens zu stören, aber Reinmar Götz war das Gegenteil hanseatischer Akkuratesse. Seine Haare waren so dunkelblond wie ihre, und er trug sie nach der neuesten Herrenmode wild, als sei er in einen Sturm geraten. Er musste einige Zeit darauf verwendet haben, sie so dramatisch hinzubekommen. Janna riss den Blick von seinem markanten Gesicht mit der Kerbe am Kinn und schenkte der Runde ein entschuldigendes Lächeln. Dann zog sie die Schleife ab und wickelte das Papier auf. Die Männer am Tisch schauten neugierig, während sie sich weiterhin über die Wochen auf der Seuten Deern unterhielten: dass die Passatwinde günstig geweht hatten; dass die Mannschaft keinen Mann verloren hatte und dass man die Reise nicht vor der Ankunft loben solle, denn auch außerhalb der Orkanzeit könne das Wetter verrücktspielen. Nur Frau Wellhorn schwieg, während sie mit ihrem Spitzentaschentuch und geradezu bedrohlichen Bewegungen ihr Lorgnon polierte.
    Janna öffnete das samtene Kästchen.
    «Oh!»
    «Darf ich?» Reinmar nahm die fingerbreite Goldkette heraus und legte sie ihr um den Hals. Eine in Gold eingefasste Granatrose ruhte schwer auf Jannas Haut. Dieser Schmuck war viel zu groß. Geradezu anstößig groß! So etwas trug man bestenfalls zu einem besonderen gesellschaftlichen Anlass. Den Herren wuchsen denn auch die Augen, und niemand Geringerer als der Kapitän stieß einen leisen Pfiff aus. Wie peinlich!
    Dennoch reckte Janna stolz den Kopf. Sie sah sich aufs genaueste von Frau Wellhorn lorgnettiert.
    Reinmar konnte es nicht lassen, noch einmal hinzugreifen und

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