An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)
wieder. Janna nahm kaum wahr, dass draußen geschäftiges Treiben herrschte. Doch Arturos Atmen, sein gelegentliches Seufzen oder auch enttäuschtes Knurren – von alldem entging ihr nichts.
Als der letzte Packen durchgesehen war, stand sie auf und reckte sich. «Nichts. Es wäre ja auch zu schön gewesen.»
«Und das da?» Arturo deutete auf die Truhe.
«Die ist verschlossen.»
Trotzdem ging er hin und rüttelte am Deckel. Janna lag auf der Zunge, dass er fremde Sachen nicht aufbrechen durfte. Was er zweifellos erwog. Zu ihrer Erleichterung ließ er davon ab und setzte sich wieder an ihre Seite.
***
Unter ihren Fingern zerbröselten getrocknete Pflanzen. «Schau, das ist ein Herbarium. So wie das, wovon ich dir erzählte. Erinnerst du dich?»
Er sagte nichts, sah aber zu, wie sie behutsam die Bögen öffnete und es vermied, weitere der Kräuter und Blüten anzufassen. Eine Maßnahme, die sinnlos war, denn die Pflanzensammlung war wie alles andere in schlechtem Zustand. Außerdem musste man ja nur ein paar Schritte nach draußen tun, um exotische Pflanzen in all ihrer lebendigen Pracht bewundern zu können. Janna nahm an, dass ein Reisender das Herbarium angelegt hatte, um es in seine Heimat mitzunehmen. Welche Gründe mochten ihn daran gehindert haben, diese Absicht in die Tat umzusetzen?
Sie machte sich daran, einen Stapel beschrifteter Blätter durchzusehen. Zu ihrem Erstaunen erwiesen sie sich als Abschriften der Göttlichen Komödie. Wer die wohl angefertigt hatte? Plötzlich hielt sie inne und ließ sie sinken. Ist das eigentlich wirklich passiert? , fragte sie sich.
Natürlich.
Sie hatte Arturo geduzt.
Womöglich hatte sie es gestern schon getan. Und ihm war es nicht aufgefallen. Oder es war ihm keine Erwähnung wert gewesen. Sie versuchte sich wieder in die Lektüre des kleinen Schatzes anderer Art zu vertiefen, den sie da gehoben hatte, und übersetzte in Gedanken die spanischen Verse.
Der Ort, wo wir zum Niedergang gelangten, war steinig und so graus ob seines Inhalts …
Sollte sie nun dabei bleiben? Aber nein, er war ein fremder Mann! Andererseits … Sie schüttelte den Kopf. Ihr entging nicht, dass Arturo sie ansah. Sicherlich fragte er sich, ob sie etwas Wichtiges entdeckt hatte. Also rief sie sich zur Vernunft und legte die Blätter für spätere Mußestunden beiseite. Jetzt hatte sie anderes zu tun.
An den nächsten Abenden, kurz bevor die Dämmerung hereinbrach, las sie Arturo aus Dantes Werk vor, während er sich einige Schritte entfernt im Bogenschießen übte. Er wollte zur Jagd gehen, um nicht für Monate ein unnützer Esser zu sein. Ein Indio versorgte ihn mit einem ordentlichen Vorrat an Pfeilen und Gift für die Pfeilspitzen. Niemand hatte großzügiger seinen Leib mit roter Farbe verziert als dieser alte gebeugte Mann. Das wies ihn als Herr der Sálipure aus, erklärte Arturo. An einem der Abende brachte seine Frau das Empirekleid zurück. Janna staunte, wie geschickt es geflickt worden war. Ebenso die Chemise, die Pantoffeln und das kleine Schnürmieder, das ihr die Indianerin mit einem Schwall vorwurfsvoller Worte in den Schoß legte.
«Sie sagt, die Brüste einer Frau brauchen keinen Schildkrötenpanzer.»
Ein Panzer? Das zierliche Ding? «Dann hätte sie mal eines von Frau Wellhorns altmodischen Korsetts sehen sollen», erwiderte Janna, während sie der Frau mit einem strahlenden Lächeln dankte.
Obwohl es immer noch Lumpen waren, beschloss Janna, die Sachen an jenem Tag wieder anzuziehen, wenn sie Angostura betreten würde. Bis dahin musste es eine Mönchskutte tun. Doch einige Tage darauf wurde sie wieder von der Häuptlingsfrau überrascht. Diesmal brachte ihr Guahíta ein buntgestreiftes Kleid. «Eigens für dich gewebt», übersetzte Arturo die gestenreich untermalten Worte.
Es besaß lange Ärmel zum Schutz vor den Moskitos, worüber sich Janna freute. Doch so eng hätte es nicht sein müssen. Nur eine bis zum Knie offene Seitennaht sorgte für eine gewisse Bewegungsfreiheit. Nach all der Zeit in der Wildnis hatte Janna jedoch das zierliche Gehen verlernt, und ständig sprang der Spalt auf. Sie wagte es trotzdem, damit auch in die Kirche zu gehen. Die anderen Frauen sahen ja nicht weniger bunt aus.
Arturo ließ sich dort nicht blicken. Einmal hatte er es getan, und als er wieder herausgekommen war, hatte er nur gemeint: «Karg da drinnen. Es sieht nicht so aus, als hätten die Mönche den Schatz heimlich selbst geborgen.»
Janna bemerkte, dass hin und
Weitere Kostenlose Bücher