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An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)

An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)

Titel: An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Beto
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er sei überall am Orinoco gewesen. Hier blieb er einige Tage, um sich die Umgebung anzusehen. Ein sehr angenehmer Mensch.»
    Janna war wie vom Donner gerührt. Der berühmte Wissenschaftler war tatsächlich hier gewesen. Hier!
    «Ihm verdanken wir, uns wieder auf die Wurzeln unseres Ordens besonnen zu haben. ‹Das Gesetz fordert, die Strafe nimmt, die Gnade gibt›, so sagte Franz von Assisi. Also üben wir uns in Langmut, was unseren Umgang mit den Einheimischen angeht. Und freuen uns, wenn wenigstens ab und zu einer um die Taufe bittet. Wir haben derzeit sogar einen, der mit dem Ordensleben liebäugelt. Franziskus sagte auch: ‹Alle Geschöpfe der Erde fühlen wie wir, alle Geschöpfe streben nach Glück wie wir. Alle Geschöpfe der Erde lieben, leiden und sterben wie wir, also sind sie uns gleichgestellte Werke des allmächtigen Schöpfers – unsere Brüder.›»
    Es waren schöne Worte, doch sie schnitten Janna auch ins Herz, denn sie musste an den ständig pfeiferauchenden Pastor Jensen denken, der so gerne in der Wildnis Gottes Wort verkündet hätte. Stattdessen war Humboldt hierhergekommen … «Sie haben Baron von Humboldt tatsächlich gekannt», murmelte sie. «Ich kann das immer noch nicht fassen.»
    «Dass Sie das so erstaunt?»
    «Wissen Sie, mein Vater hatte ihm nach Paris geschrieben. Er bat ihn, ihm zu berichten, wie Angostura ist und ob man guten Gewissens eine junge Frau dorthin gehen lassen kann. Und der Baron hat wirklich und wahrhaftig geantwortet. Einen von ihm verfassten Brief in Händen zu halten kam mir unglaublich vor. Und jetzt sagen Sie, er sei hier gewesen, und das auch noch so … so …», sie warf die Hände hoch, «en passant!»
    «Verzeihen Sie. Hätte ich gewusst, wie sehr Sie das mitnimmt, hätte ich es behutsamer begonnen. Aber die Wege des Herrn, Sie wissen ja, die sind …»
    «Unergründlich, wem sagen Sie das.»
    «Was schrieb er denn? Humboldt, meine ich.»
    «Dass es so ruhig und friedlich in Angostura sei, dass sogar die Moskitos keine Lust verspüren, einen dort zu plagen.»
    Frater Sebastián lachte. «Ja, der Mann hatte Humor. Wir haben ihm viel zu verdanken. Und ich dem französischen Arzt, der ihn begleitete, dass ich nicht hieran starb.» Vorsichtig tippte er an seine Augenklappe, und der Barbier hielt inne. Schaudernd zog Janna die Schultern hoch.
    ***
    Der mit der Novizenschaft liebäugelnde Indio, der zwar gerne Farbe, aber auch stolz ein Kreuz auf der Brust trug, kam eines Abends in die Bibliothek gestürzt. Seitdem es so oft regnete, hatte es Janna wieder dorthin zurückgezogen. Mit Frater Sebastiáns Erlaubnis hatte sie begonnen, das wilde Durcheinander zu ordnen oder, wenn es unumgänglich war, fortzuwerfen. Man musste sich ja schließlich beschäftigen und den Hunger nach Lektüre irgendwie befriedigen, auch wenn es immer nur die gleichen wenigen Bücher und Zettel und Zeitungen waren. «Du komm. Schnell!», bemühte Picao sein schlechtes Spanisch und machte wieder kehrt.
    Grundgütiger! Erschrocken folgte sie ihm. «Was ist passiert?»
    «Nicht rede, komme. Arturo!»
    War ihm etwas zugestoßen? Zur Mittagszeit war er losgezogen, Fischotter zu jagen. Die zarten, glänzenden Felle waren ein begehrtes Handelsgut. Picao winkte sie die Häusergasse entlang und eilte durch das Maniokfeld, hinter dem das Gelände steil anstieg. Ab und zu sah er sich um, ob sie ihm auf den Fersen blieb. Ihr war es nicht geheuer, so kurz vor der Dämmerung in den Wald zu laufen. Andererseits würde der junge Mann hoffentlich wissen, was er tat. Er stieg eine aus Wurzeln gebildete natürliche Treppe hinauf. Aus dem Erdboden ragten zerklüftete Granitfelsen, bereits schwarz wie die baldige Nacht. Die kräftigen Blätter der Bromelien, die in ihren Spalten nisteten, verloren zusehends ihre Farben. Irgendwo voraus übertönte ein Wasserfall die üblichen abendlichen Geräusche der Tierwelt.
    Keuchend blieb Janna stehen. «So sag mir doch, was …»
    «Still!»
    Vor ihr erhob sich ein düsterer Vorhang verschlungener Gewächse. Picao winkte sie hinein in diese lebendige grüne Wand. Janna kniff die Augen zu und schob sich in die Schwärze einer Höhle. Beißender Geruch nach faulender Erde stach in ihre Nase. Bevor sie sich noch einmal fragen konnte, warum um alles in der Welt sie das tat, hatte sie die Dunkelheit wieder hinter sich gelassen. Ein Spalt führte auf den Rand einer kleinen Schlucht hinaus, an deren Ende die Gischt des Wasserfalls bis zum Himmel wallte.
    «Picao,

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