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An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)

An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)

Titel: An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Beto
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Was weiß ich denn von Ihnen? Dass Sie bei Mönchen aufgewachsen sind, aber erstaunlich wenig von ihnen gelernt haben. Und was noch? Sehen Sie, jetzt muss ich schon überlegen. Ich weiß nicht einmal, ob Sie als Säugling zu ihnen kamen oder als zwölfjähriger Junge. Sollte mich jemals jemand nach Ihnen fragen, würde ich Sie sicher nicht als Geschichtenerzähler bezeichnen. Ein Geheimniskrämer, das sind Sie.»
    «Du wirst niemals jemandem von mir erzählen.» Wieder dieses bedrohliche Augenfunkeln. Sie trat zwei Schritte zurück.
    «Ich habe es nicht vor.»
    Er senkte den Kopf und betrachtete das Pergament. «Ich war sieben. Und gelernt habe ich so wenig, weil mir die Mönche wenig beibrachten. Es kam ihnen darauf an, dass man arbeitete, Kleidung trug und sonntags in die Kirche ging. Sie waren sich auch nicht zu schade, mich und die anderen Indios zu schlagen, wenn wir nicht spurten.» Flüchtig hob er den Blick von dem Blatt, in dem er nicht las. «Man nennt das, glaube ich, Sklaverei.»
    «Diese Narben stammen also von einer … Bestrafung?» Jedes Wort kam ihr nur zögerlich über die Lippen. Janna hatte das Gefühl, als laufe sie auf knisterndem Eis.
    «Eine Bestrafung? Vielleicht kann man es so nennen … Aber es waren nicht die Mönche.»
    Sondern? Nein, das wäre jetzt zu viel. «Hätten die Indios nicht weglaufen können?»
    «Sind sie ja. Oder hast du noch einen gesehen dort? Aber es gab Zeiten, da konnten sie es nicht. Karibische Sklavenjäger hatten sie eingefangen. Aber den Kariben erging es dann ja auch nicht besser. Die Warao hatten Glück, dass das Delta sie vor dem Schlimmsten bewahrte. Dort kann man schlecht mit Soldaten aufmarschieren oder Gefangenenwärter anwerben.»
    Er sagte es so … kalt. «Aber Bruder Christoph?», fragte sie. «Ihn haben Sie gemocht.»
    «Ja, wie ein Hund, der seinen Herrn liebt, auch wenn er ihn schlägt. Ich war sieben! Ich hatte sonst niemanden!»
    «Und Ihre Familie? Ist sie … tot?»
    Er schien zu vergessen, dass er den Brief noch in der Hand hielt, und ballte die Faust. Sie glaubte das Eis nun krachen zu hören.
    «Sie ist … ich habe …» Aufstöhnend wandte er sich ab. Sein Unterarm stieß gegen den Stützpfosten, und er senkte den Kopf. Dann hob er ihn wieder. Er wirkte ausgelaugt. «Lass es gut sein. Komme ich deiner Vorstellung von einem Geschichtenerzähler jetzt wenigstens etwas näher?»
    ***
    Hier gab es keine Kariben. Keine Wärter und schon gar keine Soldaten. Trotzdem lief Janna mit neuen Augen durch die Mission. Mit seinen Augen. Wie mochte er sich fühlen, wenn, so wie jetzt, ein Mönch schnellen Schrittes auf sie zukam? Sein gänzlich kahler Schädel verlieh dem Kapuziner ein altersloses Aussehen. Sein rechter Arm hing schlaff und verdreht an ihm herunter. Vermutlich war auch diese Behinderung ein Tribut an den Dschungel. Im anderen trug er etwas, das entfernt an ein Buch erinnerte. Er neigte den Kopf und stellte sich als Frater Domingo vor.
    «Ein Fischer hat das hier drei Meilen flussabwärts gefunden, Señorita. Der Mann – Arturo – sagte, das müsse Ihnen gehören.»
    Sie nahm das Buch entgegen. Es war vollkommen ruiniert; nur noch wenige Seiten ließen sich aufschlagen, und auch die waren nicht mehr leserlich. Sie kratzte mit dem Fingernagel die Erdschicht vom Einband, um wenigstens nachzulesen, was sie da verloren hatte.
    «Oh. Mein Spanisch-Wörterbuch.»
    «Seien Sie nicht traurig über den Verlust. Ihr Spanisch ist hervorragend.»
    «Wenn es nur dieses wäre! Ich habe im Lauf meiner Reise sechs Bücher verloren.»
    «Dann wird es Sie gewiss freuen zu hören, dass es hier eine Bibliothek gibt.»
    Ihre Verblüffung ließ ihn freudig lächeln. Mit einer Geste seines gesunden Arms bat er sie, ihm in das Langhaus zu folgen. Die Bibliothek entpuppte sich als ein Regal voller vergilbter Bände, die einen üblen süßlichen Geruch ausdünsteten. Sämtliche Bücher waren an den Kanten aufgequollen, die Blätter braun und gewellt.
    «Das ist …»
    «Ja, ich weiß, kein Schmuckstück.» Der Mönch rieb sich verlegen über die Brust. «Unser Bibliothekar ist oft auf Reisen, deshalb sieht der Bestand etwas wüst aus.»
    «Frater José Maria?»
    «Ja, genau. Wir anderen sind nicht gerade das, was man ‹bibliómano› nennt.»
    Mit geübtem Auge entdeckte sie sofort einen Robinson Crusoe und zog ihn heraus.
    «Ja, der darf natürlich nicht fehlen», sagte der Frater. «Ansonsten wird unsere Auswahl Sie wahrscheinlich nicht befriedigen, aber

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