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An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)

An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)

Titel: An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Beto
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wieder der missbilligende Blick eines Ordensbruders auf die Tätowierung an seinem Arm fiel. Es musste für sie ein Sakrileg sein, die Mutter Gottes auf einen Arm gestochen zu sehen wie die Meernixen der Seeleute. An seiner oder Jannas Anwesenheit störten sie sich jedoch nicht. Es war, als könne hier jeder, der aus dem Wald gestolpert kam, eine Zuflucht finden. Und niemand fragte, wie lange man bleiben wollte. Die Indiofrauen zeigten Janna, wie man Körbe flocht oder den Onoto herstellte, den Farbstoff, mit dem sie sich bemalten. Dazu weichte man stachlige rote Samenbeutel ein, presste den Saft heraus und vermengte ihn mit Öl. Stunden konnten sie damit zubringen, sich gegenseitig komplizierte Muster auf die Haut zu malen – nur damit der nächste Regenguss alles wieder fortwusch.
    Janna kam nicht umhin zu bemerken, dass einige der jungen Frauen Arturo immer wieder interessierte Blicke zuwarfen. Irgendwann würde er einer dieser stummen Einladungen doch sicher folgen? Aber obwohl er durchaus hinsah, ließ er sich kaum dazu herab, auch nur ein Wort mit den Frauen zu wechseln. Ein einziges Mal glaubte sie aus dem Augenwinkel gesehen zu haben, dass er eine küsste. Aber es war abends gewesen, abseits des Lichtscheins der Lampen. Sicherlich hatte sie sich getäuscht. Denn plötzlich war die Frau von ihm weggelaufen, und er hatte eine Axt genommen und das Blatt in eine Bananenstaude gehauen. Als wolle er innerlich etwas abschlagen, das plötzlich da war und ihn störte.
    Oyomaco schenkte ihm eine alte Muskete. Anderntags beklagte sich der bucklige Häuptling, dass er damit nicht auf die Jagd ging. «Selbst wenn ich Flintstein, Zündkraut und Kugeln hätte, könnte ich mit dem verzogenen Ding nicht einen Schuss tun», sagte Arturo zu Janna. «Aber wie bringe ich das dem Alten bei?»
    Immerhin erfuhr sie beiläufig ein weiteres Detail seines Lebens: Er wusste mit einer Flinte umzugehen.
    Das Rauchen einer Zigarre dagegen war ihm neu. Es waren die alten Frauen, die es ihm zeigten, und auch Janna wollten sie mit einer riesigen, mit Maisblättern umwickelten Tabakstange locken. Janna hatte einmal an der Zigarre des Vaters ziehen dürfen; seitdem verstand sie nicht, wie man das mögen konnte. Mit dem Brauch, gebratene Fleischbrocken in Asche zu stippen, erging es ihr ähnlich. Sehr zu ihrer Verwunderung mochte sie es hingegen, im Ufersand vergrabene Schildkröteneier anzustechen und auszusaugen.
    Prickelnde Aufregung erfasste das Dorf, als Frater Sebastián zur Eierernte rief. Ein Ereignis, das ihm eine Messe unter freiem Himmel wert war. Danach strömte das ganze Dorf mitsamt den Mönchen zu der kleinen Hafenbucht. Alle bestiegen die Kanus und ruderten den Fluss hinauf. Plötzlich wimmelte der Fluss von Booten. Sie alle strebten zu einer kleinen Inselgruppe, an deren Ufern bereits etliche Einbäume festgemacht hatten. Die Angehörigen anderer Stämme waren bereits damit beschäftigt, Schildkröteneier in ihre Körbe zu füllen. Janna fragte sich, ob es nicht bei so vielen Leuten Streit um die Eier geben müsste. Doch dann sah sie, dass die Indios bis zu den Knien in einer Schicht heller Eier und glänzenden Eigelbs wateten. Knirschend setzte das Kanu, in dem Janna und Arturo saßen, in der Schicht auf, sodass die Eier zerplatzten; die Ruderer sprangen hinaus und begannen die Körbe zu füllen. Arturo legte sein Paddel beiseite und bot Janna eine Hand zum Aussteigen. Ein beißender Geruch hing in der heißen Luft. Spätestens als ihr Fuß in der Masse von Eigelb und zerplatzten ledrigen Schalen versank, bezweifelte sie, dass es ein guter Gedanke gewesen war, diesen Ausflug mitzumachen. Doch all das ausgelassene Geschnatter und Gewimmel und die lustvolle Gier, mit der die Körbe gefüllt wurden, waren ansteckend. Der alte Oyomaco wühlte genauso nach den besten Stücken wie jene Frau, die sich von Arturo eine schmerzhafte Abfuhr eingehandelt hatte. Auch Guahítas Arme waren bis zu den Schultern gelb. Und bei so manchem Kind wusste man gar nicht mehr, ob da noch eine saubere Stelle am Körper war.
    Janna suchte festen Stand und begann ihren Korb zu füllen. Tief grub sie die Finger in die warme Masse. In Schlamm und Dreck hatte sie auf dieser Reise schon so oft gestanden, dass sie geglaubt hatte, selbst eine Wilde geworden zu sein. Doch dies hier zu tun, freiwillig und lustvoll, erschien ihr als der Inbegriff der Wildheit. Mit beiden Händen zog sie zwei Eier heraus und legte sie in den Korb. Dann langte sie wieder zu.

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