An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)
Diesmal versank sie bis zu den Ellbogen darin. Nur wenige Schritte entfernt las Arturo unbeschädigte Eier auf. Sein Hemd war schon voller gelber Spritzer. Gebückt kam er näher, und als er mit den Händen tief in der Schicht steckte, warf er die Haare zurück und sah auf. Ihre Blicke trafen sich. Sein Gesicht war gänzlich entspannt, als habe er alles, womit er sich das Leben selbst schwer machte, abgeworfen.
Sie leckte Eigelb vom Handrücken. «Probier das auch!», rief sie über den Lärm hinweg. «Es schmeckt wie Hühnchen.»
Kopfschüttelnd zog er eine Grimasse. Er lächelte sie an. Nein, er lachte.
Sie konnte nicht anders, als den Kopf zurückzuwerfen und lauthals in das Johlen ringsum einzustimmen. Eine riesige dunkelgraue Schildkröte bohrte sich zu Arturos Füßen ins Freie. Er wollte auch sie einsammeln, wie es die anderen Männer taten. Doch seine Finger fanden an ihrem glitschigen Panzer keinen Halt. Gemeinsam mit einem kräftigen Indio gelang es ihm, sie in eines der Kanus zu wuchten. Überall hockten die Schildkröten, erschöpft vom Eierlegen, und schienen sich nicht dafür zu interessieren, dass man sie ergriff und forttrug. Bis zum Abend zog sich die Ernte hin, dann sammelte ein über und über bekleckerter Frater Sebastián die Schar zusammen, und zurück ging es in Kanus, deren Last sie fast bis unter die Wasserlinie drückte. Ein Fest mit viel gebratenem Ei, Schildkrötenfleisch, Maniokkuchen, Bananensuppe und den schrillen Tönen von Panflöten und langen, aus Ton gebrannten Trompeten schloss sich an. Jeder hatte sich aufwändig mit Onoto bemalen lassen. Auch Janna kam nicht um ein paar Kreise und Zickzacklinien im Gesicht herum.
Sogar Arturo hatte Schultern und Arme hingehalten. Er trug auch wieder Lederschnüre mit kleinen, schillernden Schneckenhäuschen an den Gelenken. Janna konnte den Blick nicht von ihm lassen. Dass er so ausgelassen gewesen war, kam ihr noch erstaunlicher vor als diese wundersame Landpartie.
Du nennst mich Janna , dachte sie beglückt. Ich nenne dich nicht mehr den Drachenherrn.
Den Großteil der Beute verarbeiteten die Frauen in den nächsten Tagen zu Öl. Janna beschäftigte sich wieder mit Zeichnen und Arturo mit der Jagd und dem Überholen seiner Maria . Doch nicht immer waren die Tage heiter. Ein Erdbeben brachte die Glockenmauer der Kirche zu Fall. Trauer erfasste das Dorf, als ein Kind an Fieber starb. Ein andermal war es ein Spinnenbiss, der einen der Indios das Leben kostete. Von irgendwoher schleppte jemand eine Kalebasse voller Fusel an – das Ergebnis war eine Prügelei, bei der es Tote gab. Auch als sich der Häuptling und seine Frau vor allen Leuten lautstark stritten, dachte Janna, sich in einer üblen Hafenspelunke zu befinden. Doch wenn ein freches Titi-Äffchen mitten in die Essensschalen sprang und ein Ordensbruder sich unter schallendem Gelächter die lebenden Maden aus dem Haar klauben musste und wenn Pizarro einem belaubten Zweig hinterherstelzte, den ein kleines Mädchen jauchzend über ihm schwang, oder Arturo die Panflöte spielte, während hoch über ihm Leuchtkäfer durch die Nacht schwirrten, dann dachte Janna: Das Leben kann eben doch ein bunter Teller sein .
10. Kapitel
Wofür die Mission einstmals gegründet worden war, schien niemanden sonderlich zu interessieren. «Es hat keinen Sinn, ihnen die Heilsbotschaft und weiße Sitten einzuprügeln, wie es anderswo getan wird», sagte Frater Sebastián, während er sich vom indianischen Barbier die Tonsur glätten ließ. Janna saß bei ihm, denn auch sie hatte einen Haarschnitt dringend nötig. «Hier war es früher auch so. Dann kam Ihr Landsmann, Alexander von Humboldt, und erzählte von seinen Beobachtungen und Ansichten …»
«Verzeihen Sie, dass ich Sie unterbreche, Señor Reverendo. Aber habe ich das eben richtig gehört?»
«Bedauerlicherweise ja; die Vergangenheit dieser Mission ist so wenig ein Ruhmesblatt wie die vieler anderer.»
«Nein, ich meinte, dass Baron von Humboldt hier war!»
«Oh, ich dachte, ich hätte das schon erwähnt. Sie wissen also, wer Humboldt ist, Señorita Sievers? Aber warum auch nicht, er ist wohl so etwas wie eine Koryphäe. Er hatte mit seinem Begleiter und seinem Tross eine weite Reise hinter sich.» Der Guardian rieb sich über das pockennarbige Kinn. «Wie lange ist das jetzt her? Lassen Sie mich überlegen. Fünfzehn Jahre? Sechzehn? Damals hatte ich gerade meine ewige Profess abgelegt. Nach dem, was er so erzählte, hatte ich den Eindruck,
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