An die Empoerten dieser Erde
große Hoffnung in junge Menschen. Der Saal ist im Schnitt erfreulicherweise, für viele erstaunlicherweise sehr jung. Nun lernen wir aber ausgerechnet von den angesprochenen Revolten in der arabischen Welt – Revolutionen sind es ja nur teilweise –, dass dort sehr wohl eine soziale Bewegung entstanden ist, die sich aber in Europa und auch in Amerika deutlich schwerer tut, wirklich die Massen zu mobilisieren. Ist Ihre Annahme, dass die breiten Bevölkerungsschichten eben für demokratische Werte, die vielleicht banal tönen, aber wie im Fall der Gleichberechtigung unglaublich schwer zu erreichen sind, sich wirklich bewegen lassen, nicht zu weit entfernt von der Realität, nicht ein bisschen gar viel Hoffnung?
S.H.: Ich halte das für unsere Aufgabe! Nicht wahr, wenn so ein Büchlein einen Sinn hat, dann doch den, zu mobilisieren! Die Leute dazu zu bringen, zu denken, dass es noch nicht so gutgeht, wie es gehen sollte, und ihr Interesse für Utopien wachsen zu lassen! Wir dürfen und sollen träumen! Shakespeare hat so schön gesagt: »We failed because we didn’t start with a dream. – Wir scheiterten, weil wir nicht mit einem Traum begannen.« Wir sollen träumen und auch wissen, dass unsere Träume noch nicht so weit umgesetzt sind, wie wir es uns wünschen.
Die Mehrheit der Gesellschaft ist wahrscheinlich noch nicht bereit, sich zu mobilisieren. Sie lebt noch mit dem, was sie errungen hat, und denkt sich, dass das schon genug sei. Daher brauchen wir Minderheiten, die sich empörenund engagieren. Und solche Minderheiten hat es in allen Perioden der Geschichte immer gegeben. Manchmal bildeten sie die Anfänge einer Religion, so zum Beispiel die Apostel von Jesu Christi. Sie haben dann schließlich mit einer kleinen Minderheit ganze Weltteile erneuert. Was also bescheiden anfängt, kann durchaus größer werden, das hoffe ich immer!
A.M.: Ein kleiner Anfang, der also im Idealfall zur Lawine würde! Nun wird Ihnen ja dieses »kleine Büchlein«, wie Sie es sinnigerweise nennen, sowohl in Tunesien als auch auf dem Paradeplatz in Zürich entgegengehalten, ja so ziemlich an allen Orten der Welt. Monsieur Hessel, wird das nicht langsam ein bisschen viel an Verantwortung?
S.H.: Es ist eine Verantwortung, wenn man das sagt, was ich sage, und wenn man ein Buch mit einem solchen Titel versieht wie in meinem Fall, nicht wahr? Den Titel hat mir meine Verlegerin vorgeschlagen, die eine richtige Militantin ist. Sie hat sich für die Ureinwohner Australiens und auch für den Tibet eingesetzt. Sie hat mir gesagt: »Was du da geschrieben hast, das muss stark wirken, und damit es stark wirkt, müssen wir einen starken Titel haben. Nennen wir es also Indignez-vous! « Ich habe ihr geantwortet: »Ach Gott, ja! Aber wie wird das interpretiert werden? Wird es dann Leute geben, die daherkommen und sagen: Jetzt müssen wir uns schlagen, jetzt müssen wir draufloshauen?«
Ich muss betonen, dass der Titel zwar provokativ ist, aber wenn man das Büchlein liest und auf die drei letzten Seiten kommt, steht da genau geschrieben, dass mansich gewaltlos empören, eben nicht auf Gewalt zurückgreifen soll. Man muss die großen Beispiele von Nelson Mandela, Michail Gorbatschow, Václav Havel, Mahatma Gandhi und Martin Luther King vor Augen haben. Das waren Leute, die keine Gewalt wollten und doch vieles erreicht haben. Also, man kann das schon sagen, aber man muss vorsichtig sein. Sie haben ganz recht, lieber André Marty, es besteht die Gefahr, dass man dieses Buch nur kurz durchgeht und dann sagt: »Jetzt müssen wir draufloshauen!« Andererseits sind die Regierungen oft nicht bereit, zu akzeptieren, dass es junge oder auch ältere Menschen gibt, die Gründe haben, sich zu empören. Aber es gibt auch welche, die das gut verstehen, Gott sei Dank, und die sich sagen, na ja, lassen wir sie sich empören und mobilisieren. Wir werden dann sehen, wie effektiv, wie wirksam sie sein werden.
A.M.: Versuchen wir es noch mal: Sie haben hier Menschen, die offensichtlich etwas mit der Idee von gewaltlosem Widerstand anfangen können und sich auch engagieren möchten. Wagen Sie denn ein paar Stichworte? Von »politischem Konzept« zu sprechen ist vielleicht ein gar zu großes Wort. Das haben schon sehr viele vor Ihnen versucht und bei der Umsetzung wenig Glück gehabt. Haben Sie ein paar Stichworte, wie ich mich heute in einer Realität, wie sie zum Beispiel die Schweiz nun mal ist, ganz konkret engagieren kann?
S.H.: Also, das ist die wichtigste
Weitere Kostenlose Bücher