An die Empoerten dieser Erde
dass die Tatsache nicht so genau zu Bewusstsein gebracht werden will, dass die Palästinenser 1947/48 nicht freiwillig ihr Land verlassen haben, sondern zu einem großen Teil gezwungen wurden, ihre Dörfer und Städte wie beispielsweise Haifa, Jaffa und Tiberias, um nur einige zu nennen, zu verlassen. Es fiel mir nur auf, dass Sie oft auf 1967 zurückgreifen.
S.H.: Was die Teilung von 1947/48 betrifft, so hatte ich damals das Gefühl – ich kannte natürlich Palästina damals nicht –, dass es in diesem Land schon eine jüdische Bevölkerung gab und man ihr einen Staat geben sollte, damit sich Juden aus aller Welt zusammenfinden konnten. Das bedeutete natürlich, dass einige Palästinenser nicht dableiben konnten und gehen mussten. Das hat es in allen geschichtlichen Situationen gegeben. Wo immer ein neues Land entstanden ist, da mussten andere zu Flüchtlingen werden. Das hat es in Polen, in Deutschland, das hat es überall immer wieder gegeben, und das ist traurig. Man muss also die Nakba als ein trauriges Ereignis anerkennen, aber man kann sie nicht rückgängig machen.
R.M.: Es ist ja nicht die Frage des Rückgängigmachens von Geschichte, aber von Anerkennung und von Entschädigung – zudem sah ja die UNO eigentlich vor, dass Palästinenserund Juden in beiden auszurufenden Staaten verbleiben konnten.
S.H.: Die Südafrikaner haben uns gelehrt, dass Anerkennung das Wichtigste ist, auch wenn die Geschichte nicht rückgängig gemacht werden kann. Dasselbe sollte man auch von einer guten demokratischen israelischen Regierung erwarten können. Letzten Herbst stand ich auf dem Pont Saint-Michel in Paris und empörte mich darüber, dass französische Polizisten vor fünfzig Jahren, am 17. Oktober 1961, demonstrierende Algerier der Nationalen Befreiungsfront verwundet in die Seine geschmissen haben, so dass der Fluss rot daherkam. Noch heute will das offizielle Frankreich dies leider auch nicht anerkennen.
R.M.: In Ihrer Rede in Zürich entwickelten Sie das Szenario einer Zukunft Israels, in dem es nicht unbedingt einer jüdischen
Mehrheit bedürfte, sondern in dem es sich auch mit einer Mehrheit von Muslimen demokratisch leben ließe. Damit laufen sie quer zur der neuerlich von
Ministerpräsident Benjamin Netanjahu aufgestellten Forderung an die Palästinenser, den jüdischen Charakter des Staates Israel anzuerkennen. Dieser
Forderung können ja die Palästinenser aus zwei Gründen nicht nachkommen: Erstens sind rund zwanzig Prozent der israelischen Bevölkerung Palästinenser,
also Muslime und Christen, und zweitens wäre eine gerechte verhandelte Lösung des Rückkehrrechts der Palästinenser gemäß UNO-Resolution 194 so gleich vom
Tisch. Muss ein moderner, demokratischer, säkularer Staat nicht der Staat aller seiner Bürger sein?
S.H.: Man muss historisch damit beginnen, dass es deshalb einen Staat Israel gegeben hat, weil man das Gefühl hatte, der jüdischen Diaspora eine Heimstatt geben zu müssen, wo sie Heimat fühlt. Das bedeutet aber nicht, dass Israel nur für die jüdische Bevölkerung vorgesehen sein muss. Israel soll ein Staat sein, in dem die Juden sich zwar zu Hause fühlen, der aber demokratisch genug ist, um Menschen aller Glaubensrichtungen umfassen und aus allen anderen Ländern aufnehmen zu können. Das ist natürlich die Perspektive, die jeder moderne Staat erfüllen muss und die auch den Palästinensern bevorsteht. Es ist ganz klar, dass, wenn es mal einen palästinensischen Staat gibt, es gar nicht unmöglich wäre, dass auch Juden in Palästina wohnten. So kämen wir auf eine richtige, demokratische und internationale Lösung. Ich habe immer das Gefühl gehabt, Palästinenser und Juden können miteinander leben. Allerdings bedeutet es gegenwärtig, dass beide einen Staat haben müssen.
R.M.: Aber eben so formuliert, dass es ein offener, säkularer, demokratischer Staat ist.
S.H.: Das ist ganz recht, das ist die Erklärung, die wir brauchen, für Israel und für ein zukünftiges Palästina. Wir brauchen einen solchen laizistischen Rahmen auch für den Sudan, für Tunesien und Libyen. Überall brauchen wir die offene Gesellschaft, die vor ihren unterschiedlichen Mitgliedern Respekt hat. Wir müssen dies sogar für ein Land wie Frankreich noch mehr fordern, das viele Einwanderer hat! Mehr als zwei Drittel der Franzosen haben einen Großvater oder eine Großmutter, die aus demAusland stammt. Das gelingende Zusammenleben der Kulturen ist heute wichtiger denn je! Warum? Weil
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