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An diesem einen Punkt der Welt - Roman

An diesem einen Punkt der Welt - Roman

Titel: An diesem einen Punkt der Welt - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brita Steinwendtner
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Osten, aber wenn er bei Pressbaum südwestlich abböge, käme er bis an den Karst, nach Triest und ans Meer und er würde auf die Mole hinausgehen, das Meer riechen, das Sonnenblau einsaugen …
    Er gab sich einen Schlag auf die Brust, kam wieder in die Gegenwart und spürte das Gaspedal unter seinem rechten Fuß. Er beruhigte sich langsam und war voll Hoffnung. Karlinger hatte gemailt, dass er sich den ganzen Samstag für den Studenten aus der Provinz reserviert habe und ihn nach der eingehenden Diskussion zu einem Abendessen einladen möchte. So etwas hatte Tom während seines früheren Studiums nicht erlebt. Hey, Dylan – the times they are a-changin’ … dachte Tom und erschrak, als er die letzte Strophe vor sich hin sang –
    The line it is drawn
    The curse it is cast
    The slow one now
    Will later be fast
    As the present now
    Will later be past
    The order is
    Rapidly fadin’
    And the first one now
    Will later be last
    For the times they are a-changin’
    Der Strich ist gezogen,
    Der Fluch ist gesprochen …

19
    Lamandergrabenleben.
    Das gab es noch immer, seltener zwar, aber verführerisch wie je.
    Der Bach nahm den Grund in seine Beuge. An heißen Juli- und Augusttagen war er idyllischer Badeplatz für Elisa, Tom und viele Freunde. Bis spät in die Nacht hinein hörte man Reden, Lachen und das Klingen von Gläsern. Nichts könnte schöner sein. Nichts friedlicher, geborgener. Glühwürmchen tanzten vor der dunklen Wand des Uferwaldes, über seiner Zackensilhouette standen die Sterne.
    Die Turmuhr des Stiftes schlug die Stunden.
    Immer konnte man nicht an Mariana-Stauffenberg arbeiten.
    Auf der Straße war kein Verkehr, die Lichter in den Häusern an der Südseite des Tales waren längst erloschen. Grillenzirpen. Schattengeäder. Es ist nichts Schlimmes geschehen in der Welt, nicht Srebrenica und nicht 9/11 und nicht der Amoklauf eines Schülers in Erfurt mit siebzehn Toten und es gibt keine „Achse des Bösen“, wie George W. Bush sie erfand, nein, nicht heute, morgen, morgen früh ist alles wieder nah. Morgen legen wir Blumen unter Anjuschkas Kreuz. Morgen.
    Aber jetzt die Sterne, die Grillen, die Lauheit der Luft. Das teilnahmslose Murmeln des Wassers. Und dann später. Verandabett. Tom strich zärtlich über Elisas Fingerkuppen, sie schlief, und die Vertrautheit aller gemeinsamen Jahre war in dieser Berührung. Nie, nie leben ohne sie, nie leben ohne Blicke, Haut und Nacktheit, nie diesen Zauber verlieren, dieses Unsagbare, das die Welt erträglich macht, nie in die Kälte kommen, die die Türschnalle zur Türschnalle macht, die Holztreppe zur Treppe aus Holz, die zwei Stockwerke verbindet und nicht der Raum ist, in dem die leisen Schritte der Geliebten zu hören sind, was fang ich mit der Realität an, die nur real ist, die sich beschreiben lässt und nicht Wirklichkeit ist, die tausend Geschichten dahinter erzählt –
    Nichts soll über die Hügel kommen, die Wälder, die schmale Brücke über den Bach.
    Tom hatte den Steg mit den Nachbarskindern gebaut. Der Bach war ihnen der liebste Spielplatz. Er baute ihnen Schiffchen aus Nussschalen mit winzigen Segeln darauf und ließ sie sie bachabwärts wieder einfangen. Er zeigte ihnen das geheime Fluder und sie saßen am Ufer des Weihers und sahen den Wildgänsen zu. Das Wasser des Lamanderbaches war klar und fischreich. Ein paar Flusskrebse hatten sich wieder angesiedelt. Tom lehrte die Kinder, mit der Hand Forellen zu fangen. Es war untersagt, die Fischrechte waren verpachtet, aber wer liebt nicht diesen Schauder der kleinen verbotenen Handlungen. Sie sammelten gemeinsam Holz für ein Feuer am Ufer, Tom nahm die Fische aus, zeigte den Kindern, die sich geekelt abwenden wollten, wie sie es tun müssten, und warf die Eingeweide in das Wasser zurück, als Nahrung für andere Tiere. Er schnitt eine Hand voll Majoran und Petersilie aus dem wuchernden Kräutergarten, holte ein paar Erdäpfel aus dem Keller, salzte die Fische, füllte sie mit dem frischen Grün, schnitt ihre Leiber ein wenig ein, füllte erwärmte Knoblauchbutter in die Rillen und sie feierten ein übermütiges Grillfest, spuckten die Gräten aus, aßen, bis sie nicht mehr konnten, Tom holte die Gitarre und sie sangen Lieder, bis es finster wurde.
    In den Ferien bot Tom Exkursionen in den Lamandergraben für die Kinder aus dem Dorf an. Er erklärte, woher der Name kommt, von welchem Tier er sich ableitet, und dass Salamander zu den ältesten Tiergattungen der Welt zählen. Dass es blinde

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