An diesem einen Punkt der Welt - Roman
Geld bringen.
Halt ihn nicht davon ab, Roberta, etwas Vernünftiges zu tun, warf Parmenides ein.
Stellt euch das einmal vor, ereiferte sich Tom, was sich der Mariana getraut hat, schreibt Sätze wie: Ein Tyrann sei von Wuth, Gier und Angst beherrscht, er kenne keine Zucht und Mäßigung, würde Gute als Böse verdächtigen, morden und morden lassen …
Roberta brachte den Spinatstrudel aus dem Rohr. Tom aß nur ein paar Bissen, sein Magen schmerzte. Er sah blass aus. Du solltest einmal zum Arzt gehen, sagte sie.
Mach ich, ja … Also der Mariana ist nur knapp dem Scheiterhaufen entkommen, Stauffenberg ist, wie ihr wisst, sofort liquidiert worden. Der Jesuit hat damals schon essentielle moralische Fragen gestellt, zum Beispiel, ob ein Einzelner zum Mörder werden darf oder er den Willen des Volkes vollstrecken und die öffentliche Stimme repräsentieren muss. Ich frage mich, welche Rolle die Kontakte zwischen dem L’art-pour-l’art-Dichter Stefan George und Claus von Stauffenberg gespielt haben. Und im besten Antiquariat, das ich kenne, in der Salzburger Steingasse, hab ich noch etwas ganz anderes entdeckt: einen Brief von Stefan George an Karl Wolfskehl in das Schweizer Exil vom 3. Juni 1933: George berichtet darin von einem Gespräch mit Stauffenberg über Marianas Tyrannenmordtheorie – das wird eine kleine Sensation für die Wissenschaft!
Parmenides beobachtete Tom, wie er eine Zigarette an der anderen anzündete. Roberta leerte den vollen Aschenbecher und öffnete das Fenster. Auf der eingefriedeten Wiese hinter dem Haus rannten die Schafe wie kopflos von einer Seite zur anderen, blieben abrupt stehen und rannten wieder los.
*
Die Zeit verging. Tom ver-zettelte sich, war auch sehr beansprucht durch Gemeindeverpflichtungen. Professor Karlinger hatte Verständnis für diese Aufgaben, fragte sich jedoch, ob sie nicht Ausflüchte waren. Er beobachtete diesen Mann um die vierzig mit großer Zuneigung, der noch einmal sein Studium aufnahm, um es inmitten von Leuten, die halb so alt waren wie er, zu beenden. Er hatte selten einen Studenten mit derartigem Wissen und solch unorthodoxen Auffassungen erlebt, allerdings neigte er zu Abschweifungen, so dass er ihn wiederholt ermahnen musste: Bleiben Sie beim Thema!
Der Herbst verfaulte, der Winter schmolz, Anfang Mai, als die Mostbirnbäume zwischen Straße und Lamanderhaus zu blühen begannen, machte sich Tom mit einem ersten Konvolut von 58 Seiten und dem Titel seiner Arbeit auf den Weg nach Wien.
Juan de Mariana und Claus Schenk
Graf von Stauffenberg
oder Die Legitimierung des Tyrannenmordes
Tom hatte viel gearbeitet und wenig Zeit für Elisa gehabt.
Warum tu ich mir das an, fragte er sich auf der Fahrt, hätt ich mich doch mehr um Elisa gekümmert, wär ich doch bei Peter Altenberg geblieben, diesem lebensklugen Nichtstuer, hat geschnorrt und gesandelt und ist trotzdem eine berührende Figur geworden, spannend, aber was ist nicht spannend, alles hängt mit allem zusammen, wir kommen nicht nur aus einem Geburtsort, wir kommen aus dem schwarzen Loch alles Gedachten, die Leuchtschrift der Geschichte lässt dies und jenes im Blitz des Stroboskops auftauchen, alles ist wissenswert, alles, auch der Till Eulenspiegel wär’s gewesen, dieser geniale Beim-Wort-Nehmer, der klüger und gerissener war als alle, die ihn für einen Narren hielten, die beiden wären einfacher gewesen, nicht so mit Tragik und Tod aufgeladen wie der Stauffenberg …, was will ich eigentlich mit diesem Tyrannenmord, mit diesem fundamentalen Thema, sind ja lächerlich, meine Versuche des Widerstands im Vergleich zu diesem Mann, der mit den drei Fingern seiner linken Krüppelhand eine Bombe unter Hitlers Bunkertisch montiert, was sind denn schon meine Scharmützelchen gegen dies und das und jenen,
aber trotzdem, ja, trotzdem …,
woraus haben sie sich rekrutiert, die vielen, die mitgemacht haben, die mit den blutigen Händen, auch hier im Dorf, waren ja brave Bürger von nebenan …,
… und Tom sah hinaus, die Landschaft links und rechts der Autobahn wurde von einem Riesenapparat weggesogen, an ihm vorbei und hinter ihn, wo sie verlangsamt entschwand im kleinen Ausschnitt des Rückspiegels, er sah hinaus und dachte an die Forststraße auf den Grillparz, die er vor wenigen Tagen gegangen war, zehn, zwanzig tote Feuersalamander im Schotter, zerquetscht von den Zwillingsrädern der Holzlaster, waren sie auf dem Weg zur Paarung, hatte der Weg zur Lust in den Tod geführt? Tom fuhr Richtung
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