An einem Tag im Winter
Aufwachen aus meinem Schlafzimmerfenster schaue und Kilmory House sehen kann, weià ich, dass es ein schöner Morgen wird. Wenn ich es nicht sehen kann, können wir uns auf Hundewetter gefasst machen. Aber hier macht mir das schlechte Wetter nichts aus. Es wechselt so schnell. Man kann morgens bei strömendem Regen aufwachen, und abends sitzt man in der Sonne. Wenn es in Glasgow regnet, hört es oft den ganzen Tag nicht auf, furchtbar, alles nur nass und grau.«
»Die Gegend hier ist so wunderschön. Fehlt sie Ihnen nicht?«
»Ach, ich kann nicht behaupten, dass mir die Insel besonders fehlt.« Catriona richtete die graublauen Augen mit den grünen Sprenkeln auf Ellen. »Als ich von Marguerite gehört habe, dass Sie und Alec heraufkommen, wollte ich schon fragen, ob Sie mich von Glasgow aus mitnehmen. Aber dann kam es mir doch zu unverschämt vor, von Ihnen zu verlangen, dass Sie eine Verflossene auf dem Rücksitz mitschleppen.«
Eine Verflossene . Na, davon hatte Alec ihr nie etwas erzählt. »Das hätte uns doch nichts ausgemacht«, sagte Ellen. »Vielleicht auf der Rückfahrt.«
»Wie lange bleiben Sie denn?«
»Eine Woche.«
» Eine Woche! Das ist mutig. Ich bleibe nur zwei Tage. Inzwischen habe ich die Zivilisation sehr schätzen gelernt â Cafés, Kinos, gute Geschäfte und all das.« Catriona berührte Ellens Hand. »Gott, ich bin wirklich unmöglich. Ich habe Ihnen noch nicht einmal zu Ihrer Verlobung Glück gewünscht. Ich wünsche Ihnen und Alec von Herzen, dass Sie glücklich werden.« Sie warf einen Blick zur Tür und senkte die Stimme. »Sie sollten sich allerdings fragen, ob Sie jemals mit Marguerite glücklich werden können.«
Bevor Ellen ihre Verblüffung über diese Bemerkung hinunterschlucken und etwas erwidern konnte, sagte Catriona schon: »Ein Königreich für eine Zigarette, aber Marguerite kann Frauen, die rauchen, nicht ausstehen. Sollen wir uns auf eine Zigarettenlänge nach drauÃen verdrücken? Nein, besser nicht, ich höre Töpfe klappern. Wahrscheinlich gibt es gleich Abendessen.«
Bei schottischer Graupensuppe, der Lammbraten und Apfelkuchen folgten, hielt Donald Frazer Ellen einen Vortrag über die Geschichte der Schieferindustrie auf den Inseln. Immer wieder klopfte er zum Nachdruck mit der Gabel auf seinen Teller, während er von ihren bescheidenen Anfängen im späten achtzehnten Jahrhundert bis zu ihrer Blütezeit Mitte des neunzehnten Jahrhunderts berichtete, als der Schiefer, der hier gebrochen wurde, auf Dampfschiffen in alle Teile der Welt exportiert wurde, bevor der Niedergang einsetzte und die Brüche schlieÃlich geschlossen wurden.
»Sie können die aufgelassenen Steinbrüche überall auf der Insel sehen, Miss Kingsley«, sagte er. »Sie sind seit Jahren überflutet. Gegen Ende des letzten Jahrhunderts hatten wir hier eine Sturmflut, die sie alle überschwemmt hat. Man hat zwar später versucht, den Betrieb wieder in Schwung zu bringen, aber es war der Anfang vom Ende. Inzwischen konnte man Schiefer billiger aus anderen Teilen der Welt beziehen. Das war der Todesstoà für Seil und die anderen Schieferinseln. Als es mit der Industrie aus war, begann hier die Landflucht. Und wenn die jungen Menschen aus einem Ort fortziehen«, fügte er hinzu, eine Bestätigung dessen, was schon Catriona Campbell gesagt hatte, »beginnt er zu sterben.«
»So ein Unsinn, Donald«, fuhr Mrs. Hunter scharf dazwischen. »Sterben! Dass ich nicht lache. Hör auf zu quasseln und iss.«
Das Gespräch wandte sich anderen Dingen zu, von schadhaften Dachschindeln, die ersetzt werden mussten, war die Rede, von einem vom Sturm geschädigten Baum, dem Alec einige Ãste abnehmen sollte. Ellen beteiligte sich kaum an der Unterhaltung und hatte so Gelegenheit, sich über Catrionas verblüffende Bemerkung vor dem Abendessen Gedanken zu machen. Sie sollten sich allerdings fragen, ob Sie jemals mit Marguerite glücklich werden können . Welch seltsame Worte, zumal gleich zu Beginn einer Bekanntschaft. Und sie schienen ihr wenig Sinn zu ergeben: Sie wollte doch Alec heiraten und nicht seine Mutter!
Trotzdem gaben sie ihr zu denken, schon deshalb, weil Mrs. Hunter seit ihrer und Alecs Ankunft in Kilmory House nicht mit einem Wort ihre Verlobung erwähnt hatte. Es war natürlich möglich, dass Alec und seine
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