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An einem Tag im Winter

An einem Tag im Winter

Titel: An einem Tag im Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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erleuchtete den Himmel, bevor er langsam verblasste.
    Sie fuhren über die steinerne Bogenbrücke, die das Wasser zwischen dem Festland und der Insel Seil überspannte. »Die Brücke über den Atlantik« wurde sie von den Leuten hier genannt, wie Alec ihr erzählte, weil das Wasser, das durch den schmalen Kanal floss, vom Atlantischen Ozean herkam.
    Auf der Insel drängten sich niedrige weiße Häuser – ein Pub, ein Kramladen, eine Kirche – am Ende der Brücke, dann führte die Straße weg von der kleinen Ansiedlung, durch Marschland mit wippendem gefiedertem Schilf und an verlassenen, dachlosen Steinbauten vorbei, ehe sie sich in die Hügel hinaufschraubte. Schafe weideten auf den höher gelegenen Hängen, und die Bäume auf den vom ewigen Wind gepeitschten Höhen waren gekrümmt und tief gebeugt. Ellen verspürte jenes Gefühl von Freiheit, das einen nicht selten auf Inseln überkommt: schwebend, entrückt, losgelöst von festen Strukturen und Alltäglichkeit. Als sie den höchsten Punkt des Hügels erklommen hatten, bremste Alec den Wagen ab und hielt am Straßenrand an. In der Zeit, die sie von Oban bis hierher gebraucht hatten, war es dämmrig geworden. Sie blickten von der Höhe zur Küste hinunter, zu dem seidig schimmernden glatten Wasser und dem weiten, nachtblauen Himmel dahinter. Zackige Felswände, eine hinter der anderen wie die Kulissen eines Bühnenbilds, umstanden eine Bucht; Wiesen, kleine Seen und Steinhaufen bildeten die flache Küstenebene zu einer fremdartigen Landschaft. Ellen konnte ein Dutzend niedriger weißer Häuser sowie einige größere Bauten erkennen. Manche Häuser hatten kleine rechteckige Gärten, wie bunte Spielkarten, von dicken, unregelmäßig aufgeschichteten Trockenmauern umschlossen.
    Wo Land und Meer zusammentrafen, erschien der Sand wie verbrannt, verkohlt zu einem breiten Streifen schwarzen Gerölls, das sich zu rauen Felsgebirgen aufgetürmt hatte, gegen die weiß sprühende Wellen schlugen. An anderen Stellen war der Strand zu einem anthrazitgrauen Band geschrumpft. Von schwarzen Sperrgürteln eingeschlossene Wasserflächen bildeten glasklare Seen, manche von quadratischer Form, andere rund oder oval. Am Horizont verging das letzte Licht und ließ eine leuchtende Spur über einer Armada von Inseln zurück, großen und kleinen, manchmal kaum mehr als felsige Auswüchse, einige dicht an die Küste von Seil gedrängt, andere in der Ferne verschwimmend.
    Â»Das ist unglaublich schön«, sagte Ellen hingerissen.
    Â»Ja, nicht wahr? Jetzt sind wir gleich da.« Er streichelte ihren Oberschenkel. »Aber von nun an werden wir uns leider absolut anständig benehmen müssen.«
    Â»Keine heimlichen Besuche in der Nacht?«
    Â»Meine Mutter ist in solchen Dingen sehr konventionell.« Sie küssten sich. »Sie geht regelmäßig in die Kirche.«
    Â»Es würde mir nicht einfallen, ihre Gastfreundschaft zu missbrauchen.«
    Â»Aber ich werde jede Nacht davon träumen.«
    Lautes Hupen störte sie. Alec winkte dem Fahrer des Wagens zu. »Das war Bill MacLean«, sagte er. »Er hat ein Stück Land von meiner Mutter gepachtet.«
    Er legte den Gang ein, lenkte den Wagen wieder auf die Straße, und sie rollten abwärts. Ellen atmete tief die salzige Seeluft ein. Sie folgten der Straße um die Bucht herum bis zu einem Tor zwischen hohen Hecken.
    Â»Endlich zu Hause«, sagte Alec, als er in eine steile Auffahrt einbog. In der dichter werdenden Dunkelheit war nicht zu erkennen, wie weit der Garten reichte, der Kilmory House umgab, doch als sie die Auffahrt hinaufrollten, bemerkte Ellen zu beiden Seiten des Wagens großzügige, von Blumenrabatten begrenzte Rasenflächen. Endlich erhob sich vor ihnen das Haus, größer als alle anderen, die Ellen bisher auf der Insel gesehen hatte, ein langer, zweistöckiger Bau mit weißen Mauern, von einer Reihe schiefergedeckter Giebel überdacht.
    Hinter einem Fenster schimmerte Licht, auch der gekieste Vorplatz, auf dem ein Landrover neben zwei steinernen Vasen parkte, war beleuchtet. Dann wurde die Haustür geöffnet, und mit Gebell kam ein schwarzer Scotchterrier herausgeschossen. Eine kleine, zierliche Frau mit dunklem Haar folgte ihm.
    Â»Hamish! Fuß !«
    Alec stieg aus dem Wagen. »Mutter! Hallo!«
    Sie reichte ihm kaum bis zum Kinn, als er sie

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