An einem Tag im Winter
umarmte. »Liebling«, sagte sie und streichelte sein Gesicht. »Ich habe mir solche Sorgen gemacht. War die Fahrt sehr unangenehm? Ich erwarte euch schon seit Stunden. Ich hatte Angst, ihr hättet vielleicht einen Unfall gehabt. Diese StraÃen â¦Â«
»Wir hatten bei Glasgow ziemlich viel Verkehr, und dann haben wir noch in Ardlui gehalten und Tee getrunken, das war alles. Ellen hat eine Pause gebraucht.« Alec legte Ellen den Arm um die Schultern. »Mutter, das ist Ellen Kingsley.«
Mrs. Hunter gab Ellen die Hand. »Willkommen in Kilmory House, Miss Kingsley. Alec hat mir so viel von Ihnen erzählt.«
»Vielen Dank für die Einladung, Mrs. Hunter.«
»Ach, das versteht sich doch von selbst. Alecs Freunde sind immer willkommen.« Mrs. Hunter, in Tweedrock und blauem Pullover mit perlenumkränzter Achatbrosche, lachte und griff sich an den Hals. »Was bin ich für eine alberne Person, sitze den ganzen Nachmittag im Haus und warte auf euch, statt in die Sonne hinauszugehen. Ich habe mich einfach nicht getraut, weil ich dachte, ihr würdet genau in dem Moment kommen, wenn ich zur Tür hinausgehe, um noch eine Flasche Milch zu holen.«
Alec sah schuldbewusst drein. »Das hätte uns doch nichts ausgemacht. Du hättest nicht unseretwegen zu Hause bleiben müssen.«
»Ich wollte doch hier sein, um euch willkommen zu heiÃen, mein Junge. Und die Milch hat Catriona mir netterweise geholt.«
»Cat ist hier?«
»Ja, sie hat sich ein paar Tage Urlaub genommen. Ich wusste, dass du sie gern sehen würdest, deshalb habe ich sie eingeladen, heute Abend mit uns zu essen. Aber kommt mit hinein, sonst holt Miss Kingsley sich hier drauÃen noch eine Erkältung.«
Alec trug das Gepäck ins Haus.
Die Eingangshalle war mit Schiefer gefliest und in dunklem Holz getäfelt. Auf einem Konsoltisch standen eine Vase mit Tulpen und zwei Fotografien. Die eine zeigte Alec in Wanderausrüstung vor einem Hintergrund von Bergen und Himmel, die andere war eine Porträtaufnahme eines Mannes in Marineuniform.
Hier, im besseren Licht, konnte Ellen erkennen, dass Mrs. Hunter die gleichen leicht schräg geschnittenen, tiefblauen Augen hatte wie ihr Sohn. Das dunkle Haar über den regelmäÃigen, fein gemeiÃelten Zügen war von Grau durchzogen, die Haut ihres Gesichts tief gebräunt und von unzähligen Fältchen zerknittert.
Sie führte Ellen nach oben. Das Zimmer, in dem sie in dieser Woche wohnen würde, lag nach hinten hinaus, zum Garten. Ellen, die ein schlechtes Gewissen hatte wegen der Pause in Ardlui am Loch Lomond und wegen eines früheren Halts, bei dem sie ein paar Ansichtskarten gekauft hatte, zeigte sich hell begeistert über die Freundlichkeit des Zimmers und das warme Feuer im offenen Kamin.
»Ja, hier brauchen wir leider sogar im Mai noch ein Feuer«, sagte Mrs. Hunter. »In London machen Sie um diese Jahreszeit wahrscheinlich Ihre Fenster weit auf, um die Sonne hereinzulassen. Kommen Sie hinunter, wenn Sie so weit sind, Kind. Lassen Sie sich ruhig Zeit, unseretwegen müssen Sie sich nicht abhetzen.«
Ellen hetzte sich dennoch ab. Sie packte ihren Koffer aus, schüttelte die zerdrückten Kleider aus und hängte sie in den Schrank.
Am liebsten hätte sie jetzt ein heiÃes Bad genommen, aber sie wusch sich nur schnell das Gesicht, putzte sich die Zähne, kämmte sich und zog eine frische grün-weià gestreifte Bluse an, die die zwei Tage im Koffer ohne allzu viele Falten überstanden hatte. Dann puderte sie sich die Nase und zog die Lippen nach. Wer mochte diese Catriona sein? Alec hatte nie etwas von ihr erwähnt. Eine Schulkameradin vielleicht, oder die Tochter von Nachbarn.
Ein letzter kurzer Blick in den Spiegel, dann ging sie. Im Flur standen chinesische Vasen auf kleinen Tischen, an den Wänden hingen Ãlgemälde, vor allem Seestücke. Der Korridor wand sich durch das Haus, mit Türen zu beiden Seiten und unerwarteten kurzen Treppen, die versetzte Ebenen miteinander verbanden. Das Haus hatte etwas Gesetztes, als wäre hier seit Generationen nichts mehr verändert worden. Die Mulden im rotbraunen Holz der Treppenstufen verstärkten diesen Eindruck dauerhafter Beständigkeit.
Sie fand Alec im Salon im Gespräch mit einem groÃen, mageren Mann mit hellem Haar, das weià zu werden begann, und wettergegerbtem Gesicht. Er wurde Ellen als Donald Frazer
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