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An einem Tag wie diesem

An einem Tag wie diesem

Titel: An einem Tag wie diesem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Stamm
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hier sein. Ich rufe dich an.«
     
    Das Gewitter war nicht losgebrochen. Die Wolken waren vorbeigezogen, nur im Osten war der Himmel noch dunkel, als habe schon die Dämmerung eingesetzt. Es war fünf, als Andreas zurück ins Hotel kam. Delphine war nicht da. Sie hatte ihm keine Nachricht hinterlassen. Er versuchte sie auf dem Mobiltelefon zu erreichen, aber es meldete sich nur die Mailbox. Er wartete im Zimmer auf sie. Um sieben war sie noch immer nicht da. Er machte den Fernseher an. Eine Vorabendserie lief, und eine Weile lang versuchte Andreas, der Geschichte zu folgen, aber alle Figuren sahen sich ähnlich, und er verlor bald den Überblick.
    Kurz nach halb acht kam Delphine. Ihr Haar war feucht, und unter dem Arm trug sie eine Plastiktüte. Andreas war wütend. Er fragte, wo sie gewesen sei und weshalb sie ihm keine Nachricht hinterlassen habe. Sie sagte, sie habe nicht gewusst, wann er zurückkomme. Er könne nicht von ihr erwarten, dass sie den ganzen Nachmitttag im Zimmer sitze.
    »Du hättest wenigstens dein Handy einschalten können.«
    »Es funktioniert nicht im Ausland.«
    Andreas fragte noch einmal, wo sie gewesen sei. Sie sagte, sie sei spazieren gegangen. In einem Gartenrestaurant
sei sie ins Gespräch gekommen mit ein paar jungen Leuten. Einer von ihnen sei der Nachtportier gewesen. Sie habe ihn gefragt, wo hier etwas los sei. Nirgends, habe er gesagt.
    »Sie haben mich gefragt, woher ich komme und was ich hier mache, und wir haben ein bisschen geredet.«
    Die Jugendlichen sagten, sie gingen baden an einen Weiher. Ob Delphine mitkommen wolle.
    »Du bist baden gegangen mit wildfremden Leuten?«
    »Das ist doch nichts Schlimmes. Die waren wirklich nett. Ihr Französisch ist ziemlich schlecht, aber irgendwie kann man sich immer verständigen.«
    Delphine ging ins Bad, um ihre Sachen zum Trocknen aufzuhängen. Andreas folgte ihr. Er sagte, sie solle sich beeilen.
    »Ich habe um acht einen Tisch reserviert. Mit dem Auto dauert es eine halbe Stunde an den Untersee.«
    Delphine sagte, sie habe sich mit den jungen Leuten zum Grillen verabredet. Sie sei nur ins Hotel gekommen, um ihn zu holen. Er habe ihr doch gesagt, dass er einen Tisch reserviere, sagte Andreas. Er habe keine Lust, mit wildfremden Menschen grillen zu gehen.
    »Sei kein Spielverderber«, sagte Delphine. »Ich habe den ganzen Tag gemacht, was du wolltest.«
     
    Die Jugendlichen hatten ihre Autos vor dem Hoteleingang geparkt. Es waren drei Männer und zwei Frauen, die alle jünger zu sein schienen als Delphine. Andreas fand den ganzen Abend lang nicht heraus, wer mit wem zusammen war, oder ob sie alle nur gute Freunde waren. Er fragte den Nachtportier, ob er nicht arbeiten
müsse. Der schüttelte den Kopf und sagte, morgen wieder. Einer der Männer hatte eben eine kaufmännische Lehre abgeschlossen, der andere schien nichts zu tun. Eine der Frauen ging noch zur Schule, eine arbeitete in der Bäckerei ihrer Eltern. Sie gaben Andreas die Hand und machten in einem der Autos Platz für ihn und Delphine.
    »Wohin fahren wir?«, fragte er den Nachtportier, der am Lenkrad saß.
    »Zum Dreispitz. Das ist unten am Fluss.«
    Andreas sagte, er kenne die Stelle. Sie seien als Jugendliche oft dort gewesen.
    Bei der Kläranlage mussten sie die Autos abstellen und das letzte Stück zu Fuß gehen durch den Wald und über den Hochwasserdamm und eine ungemähte Wiese voller Maulwurfshügel. Die Feuerstelle war ganz am Ende der Wiese in einer sandigen Mulde, wo der Kanal in spitzem Winkel in den Fluss mündete. Die jungen Männer hatten im Wald Holz gesammelt, und einer von ihnen machte ein Feuer.
    Der Fluss war vor langer Zeit begradigt worden, das Ufer war mit rohen Steinquadern befestigt. Andreas kletterte hinunter. Er setzte sich auf einen der Steine und rauchte eine Zigarette. Die Gespräche der anderen langweilten ihn. Mit ihrem schlechten Französisch fragten sie Delphine aus über die Musik, die sie hörte, über ihre Lieblingsfilme und ihre Zukunftspläne. Sie machten Witze über ihren Namen. Sie tranken Bier und aßen Bratwürste, die sie über dem Feuer gegrillt hatten.
    Langsam wurde es dunkel. Einer der Männer hatte
einen tragbaren CD -Spieler mitgebracht und legte Musik auf, die Andreas nicht kannte und die er schrecklich fand. Er kam sich alt vor und fehl am Platz und sprach den ganzen Abend kaum. Es wurde kühl. Er hoffte, sie würden bald aufbrechen.
    Um Mitternacht packten sie die Sachen endlich zusammen. Das Feuer war noch nicht ganz

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