An einem Tag wie diesem
Umgehungsstraße her war der Verkehr bis hier herauf zu hören. Es hatte aufgehört zu regnen, aber der Himmel war bewölkt. Nur im Westen hatte er sich aufgehellt. Die tief stehende Sonne ließ die Wolken noch dunkler erscheinen.
Auf der Terrasse war es kühl, und die Tische und Stühle waren nass vom Regen. Andreas und Delphine setzten sich drin an einen Tisch am Fenster. Das Lokal war fast leer. Die Wirtin kam. Andreas kannte sie von früher, sie war nur ein paar Jahre älter als er und war damals ein hübsches Mädchen gewesen. Jetzt war sie eine füllige Frau mit müdem Gesicht. Sie schien ihn nicht zu erkennen, und er sagte nicht, dass er aus der Gegend stammte.
Delphine hatte einen Salatteller bestellt, aber sie aß kaum davon und schob ihn schon nach kurzer Zeit von sich. Andreas hatte auch keinen Hunger. Er sagte, es sei schade, dass sie schon gehe.
»Was hätte es für einen Sinn zu bleiben?«, sagte Delphine
und fing wieder an zu weinen. Die Wirtin kam. Sie ließ sich nichts anmerken, fragte nur, ob sie fertig seien und ob es recht gewesen sei.
Er sei nicht gemacht für feste Beziehungen, sagte Andreas, als die Wirtin gegangen war.
»Darum geht es doch nicht«, sagte Delphine. »Meinst du, ich will dich heiraten?«
»Worum geht es dann?«
»Ich weiß nicht, was ich sagen soll«, sagte Delphine, halb weinend, halb lachend. »Wenn du das nicht verstehst, kann ich dir auch nicht helfen.«
Sie merke doch, dass er dauernd an diese andere Frau denke, sagte sie. Andreas schüttelte ärgerlich den Kopf.
»Unsinn«, sagte er. »Sie ist glücklich verheiratet.«
»Umso schlimmer für dich.«
Sie waren viel zu früh am Bahnhof. Andreas parkte den Wagen auf der anderen Straßenseite vor der Post. Um den Parkplatz herum standen alte Kastanienbäume, die ein dichtes Blätterdach bildeten und das Licht der Straßenlaternen abschirmten.
Andreas holte Delphines Tasche aus dem Kofferraum. Sie nahm sie ihm aus der Hand und sagte, sie werde sich hier von ihm verabschieden. Sie wolle keine Szene auf dem Bahnsteig. Sie umarmte ihn und küsste ihn auf den Mund und ging ohne ein weiteres Wort davon. Sie überquerte die Straße und verschwand um die Ecke des Bahnhofsgebäudes. Andreas wartete im Wagen, bis der Zug angekommen und wieder abgefahren war. Er hatte das Radio eingeschaltet und hörte
klassische Musik und dachte an den Zug, den sie vor drei Tagen vom Hügel aus gesehen hatten, ein Spielzeugzug, der durch eine Spielzeuglandschaft fuhr.
Er hatte das Seitenfenster hochgeklappt, und kühle Luft strömte herein. Er fragte sich, ob er wirklich nicht gemacht war für längere Beziehungen. Er hatte es sich immer eingeredet. Vielleicht hatte er einfach nie die richtige Frau getroffen. Vielleicht wäre Fabienne die Richtige gewesen, vielleicht wäre es Delphine.
Er fuhr in das Viertel, in dem Fabienne wohnte. Er stellte den Wagen am Straßenrand ab und ging zu Fuß weiter. Vor Fabiennes Haus stand ein weißer Kombi. In den Fenstern, die zur Straße lagen, waren die Vorhänge geschlossen. Vom Gehsteig aus war nicht viel zu sehen, nur, dass noch Licht war in der Küche. Andreas stellte sich vor, wie Manuel und Fabienne in der Küche saßen und ein Glas Wein tranken. Er stellte sich vor, dass Manuel Kopfschmerzen hatte und noch einmal aufgestanden war, um eine Tablette zu nehmen. Fabienne war erwacht und ihm gefolgt. Sie fragte, was los sei, und Manuel sagte, es sei nichts, er komme gleich wieder ins Bett. Sie blieb einen Moment in der Tür stehen. Dann ging sie zur Toilette, halb benommen vor Müdigkeit, und legte sich wieder hin und schlief gleich ein. Das Licht in der Küche ging aus.
Andreas fühlte sich sehr müde. Er stand vor dem Haus und starrte auf die dunklen Fenster. Als eine Frau mit einem Hund die Straße entlangkam, ging er weiter. Ihre Wege kreuzten sich. Der Hund bellte, und die Frau riss ihn an der Leine zurück und redete mit scharfer Stimme auf ihn ein.
Am nächsten Tag war der Himmel immer noch bewölkt, und es wehte ein kühler Wind. Als Andreas sein Jackett anzog, fiel ihm der Brief in die Hand, den er am letzten Tag in seiner Wohnung aus dem Briefkasten genommen hatte. Er war von Nadja. Andreas konnte sich nicht erinnern, jemals ihre Handschrift gesehen zu haben, die großzügig war und flüchtig und schwer zu entziffern.
Der Brief war mehrere Seiten lang. Wieder ging es um Leere, um Vernachlässigung und fehlende Liebe. Sie habe versucht, schrieb Nadja, den Mangel an Liebe mit Sex
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