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An einem Tag wie diesem

An einem Tag wie diesem

Titel: An einem Tag wie diesem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Stamm
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Wetter endgültig schlecht. Es war den ganzen Tag über sehr schwül gewesen. Am späten Nachmittag kam endlich das Gewitter. Andreas und Delphine saßen in einem Gartenrestaurant und aßen Eis, als der Himmel binnen Minuten schwarz wurde und heftige Gewitterböen an den Sonnenschirmen rüttelten. Sie hatten kaum Zeit, ihre Sachen zu packen und unter das Vordach zu flüchten, bevor der Regen losbrach. Als das Gewitter vorüber war, sah man im Gegenlicht Dampfwolken aufsteigen von der Straße. Am nächsten Morgen fiel Dauerregen.
    Andreas war vor Delphine erwacht. Er beobachtete sie eine Weile. Er schob ihr Nachthemd hoch. Als er versuchte, ihr den Slip auszuziehen, erwachte sie halb und half ihm, ohne ein Wort zu sagen. Im Zimmer war es stickig, und Delphines Körper war feucht vom nächtlichen Schweiß und doch kühl. Sie hatte die Augen nur kurz aufgemacht und gleich wieder geschlossen. Sie lächelte, biss sich auf die Unterlippe, legte den Kopf in den Nacken, drehte ihn zur Seite. Auf ihrer Oberlippe hatten sich kleine Schweißperlen gebildet, die Andreas wegküsste. Ihr Gesicht wurde ernst, nahm einen angestrengten Ausdruck an, sah
einen Moment lang aus, als habe sie Schmerzen, und entspannte sich wieder.
    »Tu es gentil«, sagte sie und schlug die Augen auf. »Was heißt das auf Deutsch?«
    »Freundlich«, sagte Andreas, »nett.«
    »Nett«, wiederholte Delphine. Sie stand auf und verschwand im Bad. Gleich darauf kam sie zurück und holte ihre Unterwäsche.
    Sie schafften es gerade noch zum Frühstück. Dann gingen sie wieder auf das Zimmer. Andreas las die Zeitung, Delphine trödelte herum, lackierte sich die Zehennägel und zupfte sich im Bad die Augenbrauen. Es war kurz vor Mittag. Andreas öffnete das Fenster und schaute zu, wie der Regen auf den Parkplatz fiel. Die Luft hatte sich abgekühlt, und es roch nach nassem Asphalt. Delphine war aus dem Bad gekommen und lehnte sich neben ihm aus dem Fenster.
    »Die Prognosen sind schlecht«, sagte er. »Die nächsten Tage soll es regnen.«
    »Wie lange willst du noch hier bleiben?«
    Andreas zögerte einen Moment, dann sagte er, er fühle sich wohl hier, wo er alles kenne, die Landschaft, das Klima, die Namen der Pflanzen. Hier wisse er, womit er zu rechnen habe. Delphine sagte, er habe doch fast länger in Paris gelebt als in der Schweiz.
    »Aber hier bin ich aufgewachsen«, sagte Andreas. »In Paris bin ich nie richtig angekommen.«
    Er erzählte, sein Schulweg habe an einem großen Feld vorbeigeführt. Wenn im Winter der Boden gefroren gewesen sei, habe er den Weg abgekürzt und sei über das Feld gegangen. Einmal, es war der Morgen
von Heiligabend. Es war noch dunkel und über dem Feld lag Nebel.
    »Der Lehrer hat uns gebeten, eine Kerze mitzubringen. Mitten im Feld bin ich stehen geblieben. In Richtung der Umgehungsstraße war der Nebel von den Straßenlaternen orange gefärbt. Da bin ich niedergekniet und habe meine Kerze in die Erde gesteckt und sie angezündet. Ich weiß nicht, weshalb. Ich kauerte auf dem gefrorenen Feld und schaute zu, wie sie langsam herunterbrannte. Dann bin ich zur Schule gegangen.«
    »Kinder sind seltsame Wesen«, sagte Delphine. Aber sie verstehe nicht, weshalb er ihr das alles erzähle. Andreas sagte, er gehe nicht nach Paris zurück.
    »Wie meinst du das?«
    »Ich habe die Wohnung verkauft und meine Stelle gekündigt.«
    »Bist du verrückt?«, Delphine schaute ihn entgeistert an. »Warum?«
    Andreas gab keine Antwort. Er wusste nicht, was er hätte sagen sollen. Ein Lastwagen fuhr vor, und ein Mann stieg aus und fing an, Getränkekisten abzuladen.
    »Was willst du hier machen? Als Deutschlehrer arbeiten?«
    Andreas sagte, er habe Geld genug.
    »Ist es diese Frau?«, fragte Delphine.
    »Ich glaube nicht«, sagte Andreas.
    Als er sich Delphine zuwandte, sah er, dass sie weinte. Er legte ihr den Arm um die Schultern und zog sie an sich. Sie machte sich los, und sie standen schweigend
nebeneinander und schauten dem Getränkelieferanten bei der Arbeit zu.
    »Wenn du Geld brauchst für die Fahrkarte«, sagte Andreas.
    Delphine schaute ihn an und schüttelte den Kopf.
    Sie gingen zum Bahnhof, und Delphine kaufte sich eine Fahrkarte und reservierte einen Platz im Liegewagen. Der Zug würde erst um zehn fahren, sie hatten viel Zeit. Sie fuhren auf den Hügel zu einem Aussichtsrestaurant, von dem aus man auf das Dorf sehen konnte und weit das Tal hinunter. Man sah den Fluss und die bewaldeten Hügel und die Berge am Horizont. Von der

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