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An Paris hat niemand gedacht

An Paris hat niemand gedacht

Titel: An Paris hat niemand gedacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronika Peters
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Morgen geblieben ist.
    Paul beim Arbeiten zusehen, wie er die Leute dazu bringt, die Spannung aus ihren Körpern zu nehmen, sich seiner Kamera anzuvertrauen, als würde durch die Linse etwas aufgebrochen, von dem sie nichts wussten. Die Schönheit hinter der Inszenierung. Nur wenige widerstehen, dann zieht er sich hinter die Technik zurück, jagt zwanzig Filme in einer Viertelstunde durch und macht »Kampfbilder«, wie er das nennt, versucht den Moment
einzufangen, in dem die Verteidigung im Gesicht des Gegenübers für die Dauer eines Wimpernschlags aufbricht. Danach darf wieder aufgerüstet werden, zwei oder drei Filme lang.
    Die Kamera lügt nicht, meine lügt immer. Seit Marta ihn kennt, steckt dieses Newton-Zitat in seiner Fototasche.
    Eines Nachmittags, als sie im Wald von Winnerod unterwegs waren, hatte er Yannis einen Stock geworfen, sich in der Wurfbewegung zu ihr umgedreht und gesagt: »Ich gehe nach Berlin. Kommst du mit?«
    Raphaelas Enttäuschung war groß, als Marta ihr mitteilte, dass sie auszog, kommenden Monat schon. Selbstverständlich sei sie ein freier Mensch, aber ob sie auch daran denken würde, was sie, Raphaela, alles für sie getan habe, was sie zusammen durchgestanden hätten und was es für sie bedeuten würde, wenn Marta wegen eines dahergelaufenen Fotografen, den sie kaum drei Monate kenne, ihr gemeinsames Leben mit ein paar lockeren Worten hinwerfe. Von der Kündigung der Arbeitsstelle, die Raphaela ihr vermittelt hatte, wolle sie ja gar nicht sprechen. Ob sie es sich nicht doch noch einmal überlegen könne?
    Dass Raphaela so unglücklich sein würde, wenn sie auszog, hatte Marta nicht erwartet. Bis dahin dachte sie, Raphaela habe sich schlicht an sie gewöhnt und würde mit der ihr eigenen Großzügigkeit nicht danach fragen, wie lange Marta noch gedächte, eines ihrer Zimmer zu besetzen. Fast hatte sie damit gerechnet, Raphaela würde erleichtert sein, wenn Marta endlich weiterzog. Das Gegenteil war der Fall, und Marta erinnert sich gern an diesen Augenblick. »Meine Liebste«, flüsterte sie, als sie Raphaela im Arm hielt, »ohne dich hätte ich die letzten Jahre nie überstanden, du warst meine Insel. Aber jetzt muss ich weiter, etwas Eigenes machen, verstehst du? Paul ist keiner von diesen austauschbaren Typen, mit ihm kann ich es aushalten, er ist gut
für mich. Und ich wollte schon immer in einer richtigen Großstadt leben. Außerdem: dahergelaufen bin ich auch, hast du das vergessen?« Raphaela wischte sich mit dem Handrücken die Tränen weg, brachte ein bemühtes Lächeln zustande. »Ist gut, geh schon. Natürlich musst du mitgehen, entschuldige.«
    Sie leerten jede eine Flasche Rotwein an diesem Abend, schliefen irgendwann Schulter an Schulter auf dem von den Katzen ramponierten Sofa ein.
    In den letzen Tagen vor ihrer Abreise machte Paul eines seiner schönsten Portraits, während Raphaela konzentriert über die Tastatur gebeugt, eine Katze auf ihrer Schulter, letzte Korrekturen in ihren Roman einfügte. Als das Geräusch des Auslösers sie aufmerken ließ, warf sie Paul einen Blick zu, für den Marta sie bis ans Ende ihrer Tage lieben wird. Als ob sie geahnt hatte, dass das Foto, das in diesem Moment entstanden war, das letzte von ihr sein würde. Marta hütet es heute noch wie einen Schatz.

    Der Tag, an dem Marta bei Raphaela auftauchte, hatte mit einem von Richards Überfällen angefangen. Kurz nach fünf Uhr in der Frühe wurde sie von seinem Brüllen geweckt, das vom Hof in der Johannisstraße zu ihr hochdrang.
    »Miststück! Komm raus, du Schlampe! Du gehörst mir! Ihr asoziales Pack, ihr Kindesentführer, macht die Tür auf!«
    Marta schaute aus dem Fenster, sah, wie Heiko und Mike sich mit verschränkten Armen vor ihn hinstellten, bis er sich umdrehte und davonwankte. In der Hofeinfahrt drehte er sich um, zerschmetterte seine Schnapsflasche auf den Pflastersteinen, hob die Faust und schrie: »Ich komme wieder! Ich schicke euch die Polizei auf den Hals. Die räumt die ganze Saubude aus, wenn sie erfahren, dass ihr Minderjährige davon abhaltet, zu ihrer Familie zurückzukehren!«

    Die Beamten erschienen erst am Abend. Richard hatte zwar seinen Rausch ausgeschlafen, aber sein Vorhaben unterdessen nicht vergessen. In der Kammer unter der Treppe konnte Marta jedes Wort hören. Ja, sagte Mike, Marta sei eine Weile da gewesen, aber vor einigen Tagen wieder gegangen. Wohin, wisse man nicht. Dass sie minderjährig war, sei ihnen nicht bekannt gewesen. Ihnen habe sie

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