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An Paris hat niemand gedacht

An Paris hat niemand gedacht

Titel: An Paris hat niemand gedacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronika Peters
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aus Eierschalen, fing plötzlich laut an zu schluchzen. Marta kann sich nicht erinnern, dass sie versucht hat, sie zu trösten. Sie war ihr fremd in diesem Zustand. Wie in fast jedem anderen auch.
    Es hat Momente der Nähe gegeben, unterlegt mit dem ätzenden Grundton des Misstrauens, der Angst, sie könnten allzu rasch wieder vorbeigehen und jemand anderer wäre mit der zärtlichen Geste gemeint.
    Tags darauf stand Richard im Hotelzimmer. »Packt eure Sachen, wir fahren nach Hause!«
    Unten auf der Straße lagen keine Flugzeuge mehr, und Marta wünschte, Sophia hätte doch auch ihren Namen daraufgeschrieben.
    Sie bekamen Geschenke, für eine Weile wurden keine Tränen vergossen, keine Flüche ausgesprochen, keine Ohrfeigen verteilt. Und falls sie richtig gerechnet hatte, wurde in dieser Zeit Kati gezeugt. Marta wartete täglich auf das Ende des Friedens und wurde nicht enttäuscht. Oder eben doch.
    Wenn Greta sich ernsthaft von ihm trennen wollte, warum hat sie dann nicht so schnell wie möglich das Land verlassen? Von Abidjan gingen täglich Flüge nach Europa.
    Die Beziehung der beiden hatte Marta nie verstanden. Die Studentin der Architektur, Greta Hausmann, heiratete kurz nach ihrem einundzwanzigsten Geburtstag gegen den ausdrücklichen Befehl ihres Vaters, des Chefarztes Wilhelm Hausmann, den
fünfzehn Jahre älteren Gastdozenten Richard Wördehoff und brach ihr Studium ab. Soweit die Fakten, die Marta rekonstruieren kann. Eine Familie ohne Geschichte, es wurde nichts erzählt, und die Kinder hatten gelernt, nicht zu fragen.
    Paul und Valentin kennen Episoden noch aus dem Leben ihrer Groß- und Urgroßeltern. Berichten über das drei Jahre dauernde Werben des Vaters um die verschlossene Mutter kann Paul ganze Abende widmen. Er scheint zu wissen, dass sie ihm immer wieder gerne dabei zuhört. Trotzdem hat sie sich bislang geweigert, den beiden vorgestellt zu werden, was Paul ihr übel nimmt. So wie sie abgelehnt hat, ihn zu heiraten, obwohl sie es sich vielleicht überlegt hätte, wäre die Frage nicht im Konjunktiv gekommen.
    Vor ihm rückten die meisten zu schnell zu dicht an sie heran. Einigen wäre sie gerne näher gewesen. Es ging nicht. Man wirft einander Vorstellungen zu wie Bälle, ist enttäuscht, wenn der andere sie nicht fangen mag. Kurze Affären, die kaum die Bezeichnung verdienen. Rückkehr unter Raphaelas schützende Glasglocke, noch bevor die Nacht zu Ende war. »Du gehörst zur Gattung der Flüchter«, sagte sie, kochte grünen Tee mit Ingwer, öffnete die Keksdose oder den guten Bordeaux. Vielleicht hatte Raphaela recht: Marta wollte immer rechtzeitig weg sein. Einen Mann zum Teufel jagen, wenn er sich beim Trinkgeldgeben als kleinlich erwies, weil er nicht gerne ins Kino ging, wegen der Art, wie er sich die Zähne putzte, wegen des Satzes »Ich will mehr von dir«.
    Paul. Das war von Anfang an anders. Nicht nur, weil sie seinetwegen ihre Zelte in Winnerod endgültig abgebrochen hatte oder weil er so gut mit seinen schönen Händen umgehen konnte. Er hat sich nie etwas von ihr versprochen.
    Paul behauptet, Marta hätte sich zuerst in seinen Hund verliebt, und Yannis sei es zu verdanken, dass sie ihn damals nicht
einfach ignoriert hatte, als er sie das erste Mal ansprach. »Männer, haltet euch große Hunde, dann lieben euch die Frauen!« Marta hat gegrinst und nicht widersprochen.
    Am Fahrradständer vor der Buchhandlung war er angebunden, ein schwarzes zotteliges Riesenbaby, das leise knurrte, wenn man ihm nahe kam. Sie saß bereits eine ganze Weile vor ihm, als von hinten jemand sagte: »Da bist du jetzt die Erste, die das kleine Monster einfach so anfasst.« Beim Kaffee fragte er, ob er sie fotografieren dürfe.
    »Warum?«
    »Du bist schön.«
    Sie hatte ungläubig gelacht und war mitgegangen.
    Bilder von Menschen an öffentlichen Orten: eine junge Frau hinter der Glasscheibe eines Restaurants; eine Alte, die sich im Eingang des Supermarkts auf ihren Stock stützt; ein Mann in der U-Bahn, an die Tür gelehnt; ein junges Mädchen, traumverloren am Bahnsteig stehend. Die Serie umfasste ein Dutzend Abzüge, mit Reißzwecken in Pauls Dachzimmer an die Wand geheftet. Es war die Vereinsamung der Gestalten inmitten der Leute um sie herum, der Ruhepunkt aus Alleinsein und Traurigkeit in den Gesichtern, der ihn beim Fotografieren gereizt habe, er sei sich dabei wie ein Dieb vorgekommen. Sie ist sich sicher, dass sie aufgrund dieser Bilder bereits am ersten Abend mit ihm ins Bett gegangen und bis zum

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