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An Paris hat niemand gedacht

An Paris hat niemand gedacht

Titel: An Paris hat niemand gedacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronika Peters
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bekam. Sie gingen jetzt anders und verstummten schließlich ganz.
    Warum fragst du nicht nach mir?
    Paul beginnt leise zu schnarchen.

    Das Bett neben ihr ist leer, als Marta aufwacht. In der Küche steht ein Teller mit Apfelstücken und klein geschnittenem Toast, an der Kaffeemaschine lehnt eine Postkarte mit Pauls säuberlicher Handschrift: Guten Morgen! Bin nach zwei wieder da. Überleg dir, ob du Lust hast, wegzufahren, sobald die Fäden gezogen sind. Burgund oder Bretagne? Ich kann vier Tage freimachen. Such dir was aus.

    Verreisen ist ihr Geheimrezept.
    Er hat den Boden geputzt, sogar den Müll weggebracht. Bleiben noch die kleinen blauen Knoten in Martas Hand als Spur, aber auch die verbergen sich unter mehreren Schichten aus weichem Mull und werden in zehn Tagen fort sein. Wie sieht auf Glas getrocknetes Blut aus? In Wien hat sie einmal im Museum Sachen gesehen, die Künstler mit ihrem eigenen Blut bemalt hatten. Pappe, Leintücher, Messgewänder. Mit dem Pinsel aufgetragen, getropft oder geschüttet. Fast schade, dass das satte Rot sich zu schmutzigem Braun wandelt.
    Sie wird eine weitere Narbe zurückbehalten. Diese wird aussehen wie ein schräges L oder ein verunglücktes V. »Winkelriss«, würde die Frau in der Wäscherei sagen.
    Es soll nicht wieder anfangen.
    Aus dem Radio tönt die quäkende Stimme einer wasserstoffblonden US-Schönheit, die ihrem Liebhaber versichert, die Seine bis ans Ende ihrer Tage zu bleiben. Textfragmente wie diese sind Marta Vorwand genug, ihr Englisch nicht aufzufrischen, obwohl sie das auf Reisen schon bedauert hat. Im Klassik-Sender läuft eines der Stücke, bei denen man mitpfeifen könnte. Immer noch besser als Stille.
    Die Brotstücke verfüttert sie an Yannis, der auf keinen Fall etwas vom Tisch bekommen sollte. Er wird bei der nächsten gemeinsamen Mahlzeit zum Verräter werden, indem er neben ihrem Stuhl hockt und bettelnd demonstriert, dass sie sich wieder nicht an die Abmachungen zur Hundeerziehung gehalten hat.
    Dass Paul nicht auch noch daran gedacht hat, die Zeitung behindertengerecht aufzuschlagen, beruhigt sie. Selbst seine Fürsorge hat Grenzen. Marta breitet das raschelnde Papier umständlich auf dem Boden aus, zuckt kurz schmerzhaft zusammen, als sie mit der falschen Hand eine Seite umzublättern versucht.

    Waffenstillstand an der Elfenbeinküste. Aufständische unterzeichnen Friedensabkommen, geben aber ihre Waffen nicht ab.
    Das Foto eines Rebellen: Sonnenbrille, Zigarette im Mundwinkel, auf dem Kopf ein Nest aus geflochtenen Palmblättern. In der Diagonalen, unscharf, der Lauf eines Gewehrs.
    Frankreich erklärt sich bereit, mit seinem Militärkontingent vorläufig den Frieden zu überwachen.
    Wenn Paul den Artikel sieht, fährt er nie mit ihr da hin.
    Sie hat sich das Land auf der Karte angesehen. Von Bouaké bis Abidjan müssen es gut dreihundert Kilometer sein. Die Frau kann das unmöglich allein mit zwei kleinen Kindern geschafft haben. Von einer Zug- oder Busfahrt weiß sie nichts. Sie sieht sich im Auto sitzen, die weinende Greta vorn, der Wagen fährt schnell über unebene Straßen. War ihre Augenbraue geschwollen? Die Erinnerung ist löcherig und lügt möglicherweise. Stücke sind herausgebrochen wie aus einer porösen Farbschicht, so dass Dargestelltes allenfalls erraten werden kann. Ob sie womöglich doch in Bouaké im Hotel waren? Aber warum sollte sie in der Stadt geblieben sein, wenn sie von ihm wegwollte? An der Rezeption stand ein riesiger Strauß mit hellroten Blüten. Der Mann mit den goldenen Tressen am Ärmel beugte sich mit dem großen Bonbonglas zu ihr herunter: »Hier, nimm und gib auch deiner Schwester.« Alles war schön sauber, die Bettlaken rochen nach Veilchen, sie bekamen Saft und Obst, so viel sie wollten. Aus den Papierbögen mit eingeprägtem Elefantenkopf, die in der Schreibmappe auf dem Tisch lagen, falteten sie Flieger und wurden nicht bestraft, als sie sie Autos und Fußgängern unten auf der Straße entgegenschweben ließen. Sophia malte mit bunten Stiften ihren Namen drauf, jeden Buchstaben mit einer anderen Farbe. »Meinen auch, schreib auch Marta drauf!« Aber Sophia weigerte sich.

    »Könnt ihr nicht leiser sein, ihr seht doch, dass ich telefoniere.«
    Stundenlang. Meist schwieg sie, presste den Hörer ans Ohr, nickte, schüttelte den Kopf, sagte ab und zu leise ein oder zwei Worte. Einmal starrte sie sekundenlang in den Hörer, was komisch aussah, legte ihn dann so vorsichtig auf die Gabel, als sei der Apparat

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